Die Pandemie und ihr Management führen zu sprachlichen Übergriffen sonderzahl. Die neueste Verirrung ist der verkürzte Genesenenstatus. Wollten wir das ohne Vokale schreiben, wäre es der vrkrzt Gnsnnstts. Unschön auch so. Weiterlesen
Impfmüde
Das Wort ist so jung, dass viele einschlägige Verzeichnisse es noch gar nicht kennen. Bei Google Ngram steigt die Trefferquote erst nach den Nuller-Jahren steil an, offenbar gab es nach der Schweinegrippe-Saison 2009/10 einen ersten kleinen Impfmüdigkeitspeak mitohne Pieks (sorry). Weiterlesen
Rückkehr zur Normalität?
Sie wird immer häufiger beschworen, als sei sie ein Ziel, nach dem wir Sehnsucht hätten. Für die Rückkehr zur Normalität gibt es keine Fahrkarten, keine Patentrezepte, keinen Wegweiser. Wer behauptet, den Weg oder das Ziel zu kennen, ist ein Scharlatan. Wer sie verspricht, verspricht sich. Seit wann gibt es Zeitreisen, und dann auch noch zurück? Was schließlich macht einen hinter uns liegenden Zustand zu einem Sehnsuchtsziel? Weiterlesen
Verschärfen
Aus Gründen, die nicht kulinarischer Natur sind, feiert dieses Verb etwas zu dauerhaft Hochkonjunktur. Hier folgen einige Beispiele aus der politischen Prosa, was sich verschärft oder was verschärft werden muss. Aus der Ferne erklingt in dem Wort das Handwerk des Scharfrichters, der seine Klingen einsatzbereit halten und entsprechend pflegen muss. Wer etwas verschärfen will, steht – wie unfreiwillig auch immer – in dieser Tradition.
Verschärft werden muss Weiterlesen
Richtig und wichtig
Kaum etwas finde ich so grauenvoll und nichtssagend wie diese Formulierung, die seit geraumer Zeit Bedeutung beansprucht, aber über die Autosuggestion nicht hinauskommt. Aber wer kann sich schon selbst hypnotisieren? Was in den letzten Monaten alles als “wichtig und richtig” galt:
Streiten
Hochschulen in die Politik einbringen
Selbsttests
Apotheker Weiterlesen
Wort der Woche – mein neues Projekt
Wir befinden uns in einer beispiellosen Krise. Ob und wie wir aus der Krise herausfinden, hängt auch davon ab, wie wir darüber reden. Offen, klar, nachvollziehbar, begründet, bitte auch spielerisch.
In den letzten drei Jahren habe ich fünf Bücher für den Dudenverlag geschrieben. Damit habe ich eine lang gehegte Sehnsucht in die Tat umgesetzt: über Wörter nachzudenken und zu schreiben, mit Freude an der Sprache.
Lauern unter der Oberfläche schön gedrechselter Sätze unmerkliche Beben? Gibt es verstrahlte Wörter? Wie lässt sich das herausfinden? Das ist mein Angebot an die Leserschaft meines Newsletters bei Steady. Ich bin Wort-Explorer und ergründe den Sinn von Wörtern. Gerne dürft Ihr mich auf die Probe stellen und mir Wörter melden, die Euch seltsam vorkommen (über die Kommentare).
Mein erster Newsletter wird sich mit dem Menschenmöglichen befassen. In der nächsten Woche folgt das Mutationsgebiet, das neuerdings Virusmutationsgebiet heißt.
Im Video erzähle ich Tilo Jung, was ich vorhabe. An meiner Seite versucht Hündin Lola, sich ins Bild zu drängeln. So ist das.
Zu meinem Hintergrund: Ich bin Politikwissenschaftler, geboren 1953 am Niederrhein. Ich war Lektor, Redakteur, Verleger, Vermessungsgehilfe und Erntehelfer, Berater, Radiomacher, Rhetoriktrainer und Stiftungsmanager. Ich schrieb für die FAZ, den Freitag, die Krautreporter, das Kursbuch, Radio 100, die Süddeutsche Zeitung, die taz und Zeit Online.
Punchline
Als Obama in Berlin sprach, saß ich mit ein paar Freunden aus mehreren Ländern ziemlich nahe an der Siegessäule. Bei uns eine Finnin, die gerade von einem längeren Aufenthalt am MIT zurück nach Europa gekommen war. Als Obama anfing, von seinem Vater zu erzählen, flüsterte ich ihr zu: “Gleich kommt seine punchline.” Leises savvy weises Lächeln, dann kam diese Anspielung auf Ernst Reuters “Völker der Welt, schaut auf Berlin” und Obamas punchline: “We are a people of improbable hope.”
Eines seiner rhetorischen Geheimnisse verdankt Obama einer dramaturgischen Idee von Bertolt Brecht: dass man etwas nur gut genug verstecken müsse, um sicherzustellen, dass es entdeckt werde. Obamas List besteht darin, sich später als historisch erweisende Sätze in seine Reden einzuschmuggeln, beiläufig, ohne dieses dröhnende “Tear down this wall!”
Nehmen wir die bisher dokumentierten Reden in die Wiedervorlage – und suchen inzwischen nach weiteren Inspirationsquellen. Noch fehlen mir die Belege, aber dafür ist ein Blog ja genau das richtige Format: ein bisschen spekulieren, einen Kiesel über das Wasser tanzen lassen und sehen, was passiert.
Hat David Axelrod auch mal mit Ross Thomas zusammen gearbeitet? Wenn Peer Steinbrück das nächste Mal nach Washington fährt, sollte er einen Termin mit David Axelrod in einer kleinen Bar am Dupont Circle ausmachen und mit ihm über Padillo und McCorkle reden, oder eine kleine schmutzige Wahl in Westafrika. Unwahrscheinliche Hoffnung ist dieses unauslöschbare Licht hinter dem Pathos der Lakonie in den Romanen von Ross Thomas. Schade, dass er nicht mehr lebt; wie er wohl Obamas Wahlkampf beschrieben hätte – oder welche Winkelzüge während der transition von No 43 zu No 44 er zu einem Roman verarbeitet hätte.
Thomas hätte auch Jonathan Rabans Feature in der letzten Wochenendausgabe des Guardian genossen: “Obama did it by stealth – so much stealth that most of the red meat of the speech has so far passed largely unnoticed. The most astonishing visual moment of the inauguration came after the speech (…) when Obama and his wife Michelle walked George W and Laura Bush to the US Marine helicopter parked beside the Capitol’s west portico. The two couples joked, then hugged, before the Bushes climbed aboard, on their way to Midland, Texas. It was like seeing Mark Antony and Brutus locked in a warm embrace after “Friends, Romans, countrymen . . .”
So viel zum Thema punchline. Die Inaugural Address bedarf dichterer Lektüre, als bloß das Offensichtliche zu rezitieren.