Verkürzt genesen

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Die Pandemie und ihr Management führen zu sprachlichen Übergriffen sonderzahl. Die neueste Verirrung ist der verkürzte Genesenenstatus. Wollten wir das ohne Vokale schreiben, wäre es der vrkrzt Gnsnnstts. Unschön auch so.

Was sonst so alles verkürzt wird in Geschichte und Gegenwart sind die rechte Hand Gottes, Wintertage, das Leben der Menschen, nachdem es zuvor versalzt wurde, auch der Rückstand in Ballspielen, über die Stränge schlagende Halbwertzeiten (sowieso ein elend über die Dörfer gezogenes Wort), Trumps Tweets in bezug auf die Wirklichkeit, Haushaltsprozesse durch Topfdeckelhalter, Arbeitszeiten, aber auch Urlaubs-, Gehalts- und Rentenansprüche, gerne und besonders aber die Komplexität, die, wenn überhaupt, nur gekürzt uns Sterblichen nahegebracht werden kann. Der deutsche Wortschatz belegt 12715 Verkürzungssachverhalte. Weil er im Jahr 2017 (also verkürzt) bis auf weiteres endet, hat die leibhaftige Erfahrung des von neuester Unbill Genesenseins dort noch nicht Eingang gefunden.

Das Genesen ist ein Wort, das, auf die Geschichte unserer Leiber bezogen, so voller Wunder steckt, dass der Zugriff der Verwaltungssprache auf diesen Sachverhalt eine nur schwer erträgliche Zumutung darstellt. Im Genesenenstatus verschwinden die leibhaftige Erleichterung, das Glück darüber, davongekommen zu sein, auch schließlich das Leiden selbst, bevor es sein Ende fand, und es nun endlich hinter uns zu wissen.

Die Verwaltungssprache kann und will das nicht wissen. Indem sie den Status des Genesenen mit der Ungenauigkeit, die in Verwaltungsakten steckt, auf eine Frist von nunmehr drei Monaten begrenzt, unterschlägt sie die unterhintergehbare leibhaftige Erfahrung und tut so, als werde das nach drei Monaten gegenstandslos.

Wir wollen nicht darüber streiten, dass infolge der Mutationsfreude von Viren das Genesensein in pandemischen Zeiten wiederholt vorkommen wird. Nach einer ersten Infektion mit dem Wildtypus können weitere Infektionen mit Varianten durchgemacht werden, gegen die eine erste Infektion nicht hinreichend schützt. Alles geschenkt.

Der „Genesenenstatus“ wirkt durch sein Verfallsdatum (perdu nach drei Monaten) als ein Übergriff, der alltägliche Rechte verkürzt oder begrenzt und damit denjenigen Anlass zu Ärger gibt, die anschaulich davon berichten können, was es heißt, an diesem Virus erkrankt und davon genesen zu sein.

Ein unheilbar gesunder junger Mann berichtete mir kürzlich, er habe einen „milden Verlauf“ überstanden, aber sein ganzes Leben lang (knapp vierzig ist er) habe er sich noch nicht so krank gefühlt.