Die Fahrbahn ist ein graues Band Weiße Streifen, grüner Rand Die Zukunft ist auch nicht mehr, was sie einmal war. Es gibt Wege, dieser Einsicht aus dem Weg zu gehen. Der Vertrag zwischen den Unionsparteien und der SPD über die Bildung einer neuen Regierung begegnet dieser Einsicht unbeirrbar lakonisch und zählt Zeile für Zeile. Haben die Verhandlungsführenden diese Idee der Düsseldorfer Band...
Todesangst als Erfolgsrezept
Heute, am 2. April 2025, hätten wir den 100. Geburtstag von Hans Rosenthal feiern können. Vor einigen Jahren hat Günter Hack den großartigen Roman „Quiz“ bei Frau Frohmann veröffentlicht. Für die „Zeit“ hatte ich das Buch damals besprochen. Hier ein Auszug aus dem Roman: „Nach dem Krieg ging er hinaus und wurde Entertainer. Er trat Woche für Woche vor einem Publikum...
Für eine Freie Universität von Babel
Noch vor kaum zwei Jahrzehnten schien es undenkbar, mit Nobelpreisen ausgezeichnete deutsche Wissenschaftler dafür zu gewinnen, aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland zurückzukehren. Die Arbeitsbedingungen in Amerika schienen konkurrenzlos. Das scheint sich gerade zu ändern. Das politische Klima, gekürzte Budgets, Verwerfungen im Bereich der Naturwissenschaften ebenso wie Anfeindungen...
Willy Habeck
Heute Morgen las ich beim Frühstück Alexander Osangs Habeck-Reportage, es kam mir vor wie eine Zeitreise auch durch meine Geschichte – zurück in das Jahr 2009. Nach dem Tod meines französischen Schwagers hatte ich meine Wohnung in Berlin an einen amerikanischen Gastprofessor untervermietet und war bei den zwei Hunden im Weingut am Rand der Cevennen gelandet. Am Tag von Barack Obamas...
Schläfer im Aufstand – Über den Roman DIE EIGNUNG von Michael Sollorz
Vorbemerkung: Ich werde hier gelegentlich an Beiträge von mir erinnern, die sich gut gehalten haben. Heute fang ich damit an, indem ich an meine Besprechung des Romans „Die Eignung“ von Michael Sollorz in dem Magazin front im Herbst 2008 erinnere. „Wir besuchen einen Toten. Einverstanden? Erbitte kurze Bestätigung.“ Michael Sollorz liebt es knapp und klar. Von der U-Bahn-Station in...
Davongekommen
Müde, auch leicht verkatert, war er aus Westafrika zurück gekommen, sein jüngster Kunde schrie nach ihm. Wer wollte es ihm verdenken, dass er der Bitte folgte? Der Macron werde sich noch wundern, was ihm in Niger blüht, das ist er ihm schuldig. Nun also wieder Moskau, aber was hält ihn da noch, ab nach Sankt Petersburg, immer noch seine Borghata des Elends, das er hinter sich weiß, aber nie...
Leichenschmaus für Egmont Fassbinder
Die Nachricht von seinem Tod kam unerwartet. Er war, wenn wir uns, wie immer, zufällig begegneten, von einer unverwüstlich scheinenden Vitalität, etwas hinfällig vielleicht, aber immer noch voller Stolz über seine Eroberungen bei den Sex Parties im Berghain und anderswo. Hündin Lola schnüffelte gerne an ihm, was er bereitwillig und mit seltsamem Stolz erlaubte. An ihm gab es zu schnüffeln.
Aus dem Leben eines Stadthundes
Ob meine Eltern wirklich wussten, was sie taten, als sie mich zeugten, wie soll ich das wissen? Sie haben sich geliebt ohne jede Idee von Schuldigkeit. Sie wussten, was sie taten. So kommen in mir zwei Welten zusammen: die westerwäldische, in der die Gefährten meines Papas ihren politischen Willen in dem Wort „daswommerjaauch“ zusammenfassen, was mich immer auf die Frage bringt, was vor dem...
In Erinnerung an Klaus Wagenbach
Im März 1987 gingen wir auf Sendung. Vorher probten wir in einem dieser verwaisten Orte, von denen es im ummauerten Westberlin so viele gab, dass ich mich nicht einmal mehr an die Adresse erinnere. Jedenfalls probten wir alles, was zu erproben war, auch unsere Stimmen und wie wir mit ihnen arbeiten können. Anlass dazu gaben uns die Audionauten HP Kuhn und Johannes Schmölling (er hat den Jingle...
Eine Verschwörung
Über Günter Hack erfuhr ich heute Morgen von dieser Story. Um es zurückhaltend auszudrücken: sie ist atemberaubend. Wenn sich herausstellt, dass wahr ist, was Jeff Bezos, der Amazon-Gründer, hier ausführt, versuchen Spießgesellen des amerikanischen Präsidenten, ihn zu erpressen und damit Rache an der Washington Post zu nehmen. Dass Bezos sich selbst zum Kauf beglückwünscht, hat viele Gründe. Hier...
Rettet die Mauer!
Wenn ich mich richtig erinnere, entstand dieses Fake-Interview für Radio 100 im Herbst 1988 nach einer Erklärung des AL-Abgeordneten Dirk Schneider. Ich erfand eine Bürgerinitiative unter dem Vorsitz von Prinz Louis Ferdinand von Preußen und phantasierte, dass das Paul Getty-Museum der DDR ein Kaufangebot für die Mauer unterbreitet hatte, weil die Kuratoren die ersten Bilder der Berliner wilden...
Nachtflug: In der Medina von Sousse
Für Huub Niessen Im Sommer 1988 verbrachte ich sechs Wochen in der Medina von Sousse. Ein Freund von mir hatte dort einige Jahre vorher ein Haus gekauft, was mir die Gelegenheit gab, wenige Monate nach der Entmachtung von Habib Bourghiba einen kurzen Vorläufer des arabischen Frühlings zu beobachten. Es dauerte nicht lange, bis ich aus der Rolle des Beobachters in die eines öffentlichen Schreibers...
Geschlecht: Aufruhr. 50 Jahre Stonewall
Das einzige Mittel, dem Entsetzen zu entgehen, besteht darin, sich dem Entsetzen zu überlassen. (Jean Genet) Die folgende Projektskizze verstehe ich als Einladung zur Diskussion. In welcher individuellen und institutionellen Vernetzung ließe sich dieses Projekt im Sommer 2019 realisieren? In der Nacht zum 28. Juni 1969 kam es in der Christopher Street, Ecke 7th Avenue vor der Bar Stonewall Inn im...
Aufstand des Körpers
Ich hätte gewarnt sein müssen. Schon als das Buch ankam, vor über vier Wochen, bemerkte ich, noch bevor ich es überhaupt aufgeschlagen hatte, ein Taumeln, eine leichte Irritation, die ich sogleich abtat, so wie man mit dem alternden Körper umgeht, was mag das schon sein, mal wieder der zu niedrige Blutdruck oder so.
Wir schaffen das Paradies auf Erden
So lautet die Schutzbehauptung des ECO-Reichs im Roman SCORE von Martin Burckhardt. Vergangenen Dienstag erschien in der taz meine Besprechung des Romans. Es ist noch nachzutragen, dass der Merkur in seinem Augustheft einen Essay von Martin Burckhardt über Jeremy Bentham bringt. Sowohl dieser Essay als auch Burckhardts Buch 68. Die Geschichte einer Kulturrevolution (erschienen 2009 bei semele)...
E.L. Doctorow
Heute schrieb ich für die Zeit einen Nachruf auf E.L. Doctorow.
Amrum. Arbeitstagebuch 2
Das Leitmotiv: dass ich an Wendepunkten meines Lebens immer wieder aus einer Gruppensituation heraus (nennen wir es von mir aus auch Kollektiv) zum nächsten Register der eigenen Stimme fand, manchmal im Einklang, öfter aber als Solist, der aus dem Chor hervortritt. Häutungserlebnisse.
Amrum. Arbeitstagebuch 1
Von dem kleinen Tisch, an dem ich sitze, schaue ich in der Abendsonne auf die Salzwiesen, das Watt, dahinter in der Ferne Föhr. Die Kinderlieder von 1964 erklingen wieder. Lila war ihr Paletot. Was für ein Irrsinn, dass zwanzig Kinder dieses Lied auf dem Ponywagen sangen, während sie am Hospiz vorbei in die Dünenburg fuhren. Am Abend der Sonnenwende Zucker in der alten Eisenpfanne zum Schmelzen...
Weddings and Beheadings
Der Text ist von Hanif Kureishi. Er könnte nicht prägnanter davon erzählen, wie der Terror im Alltag eines Filmemachers heimisch wird.
Angst vor der Gleichheit
Die Angst vor der Gleichheit nimmt ihre aggressiven Impulse aus verweigerter Freiheit. Denn wenn wir die Differenzen verkörpern, wenn unsere Sehnsucht nach Autonomie den anderen Angst einflößt, dann liegt das auch daran, dass wir in jedem Augenblick unseres Lebens die Idee der Freiheit verkörpern. Wir haben uns die Freiheit genommen, Differenzen sichtbar zu machen. Wir zeigen, dass Freiheit...