Ob meine Eltern wirklich wussten, was sie taten, als sie mich zeugten, wie soll ich das wissen? Sie haben sich geliebt ohne jede Idee von Schuldigkeit. Sie wussten, was sie taten. So kommen in mir zwei Welten zusammen: die westerwäldische, in der die Gefährten meines Papas ihren politischen Willen in dem Wort „daswommerjaauch“ zusammenfassen, was mich immer auf die Frage bringt, was vor dem „auch“ so alles stattgefunden haben kann, oder auch nicht. Und mütterlicherseits schießen die feuchten Jagdgründe Suffolks und das Dach der Welt dazu, dort, wo das Sein sich als lang gedehntes Ooommm artikuliert, als Abschied vom irdischen Wollen, als Einfügung des Seins in die Schöpfung, als großes Einverstandensein. Da haben Sies: Ich bin eine Promenadenmischung, wie sie im Buche steht. Hüten und Jagen liegen mir durch Vater und Mutter gleichermaßen. So begebe ich mich auf meine Wege durch die laute Stadt, durch ihre Düfte, durch ihre Unaufgeräumtheit. Weiterlesen
Aufwachen
Nun gehört es zu den täglichen Routinen des Lebens mit Hund, am frühen Morgen, dieser Tage wirklich früh, durch die Straßen an vielen geöffneten Fenstern vorbeizulaufen, und heute fiel mir auf, dass der Klang der Wecker monoton geworden ist, als gäbe es nur noch den einen, der sich nicht durch das Schepperschrillen der alten Blechkameraden, sondern durch ein fast kardiologisches Fiepen auszeichnet, das die meisten nicht von allein aufwachenden Menschen in Intervalleinstellung über sich ergehen lassen, ohne beim ersten (oder xten) Mal aus den Federn zu springen. Was hätte Jacques Tati daraus gemacht oder Claude Faraldo? Es defibrilliert auf hunderten von Metern, als spräche daraus insgeheime Sehnsucht nach mächtigen Sirenen.
From major to minor
So ein Tag ist das.
Die home movies zeigen übrigens den kleinen Derek Jarman. Er wollte für den Clip Regie führen, war dann aber schon zu krank.
Angst vor der Gleichheit
Vorbemerkung
Den folgenden Text habe ich am 30. 29. Januar 2014 in rasender Eile niedergeschrieben. Am nächsten Tag trug ich ihn bei einer Veranstaltung der Queer Lectures im taz-Café vor. Der Text erfüllt infolge der Technik der nicht redigierten Niederschrift die formalen Kriterien eines Blogeintrags. Vielleicht erscheint er eines ferneren Tages auch als dann dafür redigierte Veröffentlichung. Die Vorgeschichte führt über ein Jahr zurück, als in Frankreich und Italien ein Essay von Giorgio Agamben für Verwirrung sorgte. Er hatte damals in Nachfolge Alexandre Kojèves darüber nachgedacht, in welcher politischen Konstellation auf die europäische Krise zu reagieren sei. Wenige Wochen später nahm sich Dominique Venner vor dem Altar von Notre-Dame das Leben und widmete seinen Tod dem Kampf gegen die mariage pour tous.
Ich werde heute nicht als Chronist reden. Ich werde (fast) nichts erzählen über Gewalttäter, über miserable Gesetze, über Richtersprüche, über Kardinäle oder Päpste (wir haben ja gerade zwei davon). Ich werde heute Abend auch keine Exegese jener allzu geläufig und routiniert klingenden, irgendwie alle und niemanden eingemeindenden Buchstaben LGBTI* vornehmen. Warum unterscheidet sich diese Abkürzung so wenig von den Markenzeichen tiefergelegter Automobile? Das sind wir doch nicht, meine Lieben. Gefährten schon. Nur ist das etwas Anderes. Weiterlesen
Schutz unterirdischer Leitungen
Wladimir Sorokin erzählt in der neuen Ausgabe der New York Review of Books von den Tagen des Putschs gegen Gorbatschow im August 1991. Die aufgebrachten Bürger Moskaus auf dem Lubjanskaja Platz vor dem Hauptquartier des KGB schienen entschlossen, das Standbild Feliks Dzierżyńskis zu stürzen. Die Schlinge hing ihm schon um den Hals, als ein Abgesandter Boris Jelzins auftauchte und die Bürger um das historische Erlebnis eines Denkmalsturzes brachte. Der Abgesandte warnte davor, der Fall der Statue drohe unterirdische Kommunikationsleitungen zu beschädigen, ein Kran sei schon unterwegs, um das Standbild abzutransportieren und Schaden zu vermeiden. Die Bürger Moskaus hörten auf ihn, als gehöre es zu den Symbolen der russischen Revolutionsgeschichte, nicht auf Bahnsteigkarten, aber auf Transportlogistik zu setzen, 1991 mit einem Kran, der die Statue sicherstellte, auf dass sie eines Tages wieder aufgerichtet werden möge, 1917 mit einem verplombten Eisenbahnwaggon für einen gewissen Herrn Uljanow. Weiterlesen
Halbweltkulturerbe
Manchmal passiert so etwas. Gestern Abend zum Beispiel. Volker Hauptvogel machte den Auftakt. Ein Wort gab das andere. Weiterlesen
Small Town Boy
Am Morgen haust du ab
Mit allem was du hast
In einem kleinen schwarzen Koffer
Stehst auf dem Bahnsteig
Wind und Regen
Auf dem traurigen verlorenen Gesicht.
Mutter wird nie verstehen
Warum du gehen musstest
Die Antworten, nach denen du suchst
Sind nicht zuhause zu finden.
Die Liebe die du brauchst
Gibt es zuhause nicht. Nie.
//Lauf weg, hau ab//
Rumgeschubst und getreten
Immer so ein Verlorener
Warst du der
Über den sie tuschelten
Wie sie dich herabsetzten.
Wie hart sie auch versuchten
Dich zu verletzen, bis du weintest
Schriest du nicht zurück
Nur zu dir selbst.
Nur zu dir selbst.
//Lauf weg, hau ab//
Cry, boy, cry.
Am Morgen haust du ab
Mit allem was du hast
In einem kleinen schwarzen Koffer
Stehst auf dem Bahnsteig
Wind und Regen
Auf dem traurigen verlorenen Gesicht.
//Lauf weg, hau ab//
Ihr kennt das Lied von Jimmy Somerville.
Was passiert in Falk Richters Stück? Reicht es aus, es unter der Rubrik “Homophobie” zu vergrieneisen? Die Kritiker machen es sich zu einfach, wenn sie das Stück als sozial- oder postrealistisches Theater kategorisieren. Was irritiert sie so? Weiterlesen
» … und wenn sie verbrennen, ja dafor kann ich nichts«
William S. Burroughs singt (fast) anlasslos. Günter Hack hat kürzlich Burroughs-Biographien von Ted Morgan und Victor Bockris besprochen.