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Archiv

Amrum. Arbeitstagebuch 1

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Von dem kleinen Tisch, an dem ich sitze, schaue ich in der Abendsonne auf die Salzwiesen, das Watt, dahinter in der Ferne Föhr. Die Kinderlieder von 1964 erklingen wieder. Lila war ihr Paletot. Was für ein Irrsinn, dass zwanzig Kinder dieses Lied auf dem Ponywagen sangen, während sie am Hospiz vorbei in die Dünenburg fuhren. Am Abend der Sonnenwende Zucker in der alten Eisenpfanne zum Schmelzen...

Miniaturen (3)

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Kim Jong-uns Flakgeschütz schoss in die Vergangenheit, als buchstäbliches Vergehen. Die Wirkung des Projektils brauche ich nicht zu beschreiben, um das Entsetzen zu verstehen, das die über einhundert Zeugen der Exekution verspürt haben dürften. Das ballistische Ausradieren des Verteidigungsministers lese ich als Akt des Übertötens. Forensiker kennen das, wenn sie in der Gerichtsmedizin die...

Abschied von Walter Foelske

A

Ich hatte Hans Eppendorfer darum gebeten, für das Buch ein Nachwort zu schreiben. Was ich dann wenige Wochen vor Drucklegung erhielt, war eine Hinrichtung, ein literarischer Brudermord, eine Kainstat, in welcher der leibhaftig im Übertöten erfahrene Ledermann den ihm unheimlichen, so begabten wie besessenen Autor aus der Welt zu beißen versuchte. Eppendorfer erkannte in Foelske einen Widersacher...

Miniaturen (2)

M

 
Die FAA erteilt der Indignitas Airline die Lizenz für Absturzflüge in abgelegene Täler der Rocky Mountains, wahlweise gehts auch in die Anden. Die Social Media-Abteilung von Indignitas sammelt Footage ohne Ende und hat durch billionenfache Clicks Buzzfeed abgehängt.

Miniaturen (1)

M

Ich denke nicht an die guten Überlebenden. Ich habe Cormac McCarthys Roman "The Road" nicht als Bauplan für ein Überleben gelesen, wenngleich es da draußen Optimisten gibt, die genau das tun. Ich denke an die Gegenspieler, genauer gesagt an einen einzigen. Sein Ziel ist es, der Welt den Rest zu geben.

Merkur

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Ich lese Baecker aufgrund seiner Metaphern wie einen Ebola-Epidemiker. Nicht nur die deutsche Geld-Politik steht vor der Frage, wie sie mit neuen Formen politischer Ansteckung umgehen soll, ohne dass dagegen eine taugliche Immunisierung bereitstünde.

Frohe Weihnachten!

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W. (den wir früher Wuffwuff nannten), Tuli, der auf dem Weg zur großen Reportage noch viele Herausforderungen zu meistern hat, und die Hunde Zara, Anti, Moni, Dio und Luzi wünschen zusammen mit Josefina Capelle und Hans Hütt Frohe Weihnachten aus der nur für unsere Leserinnen und Leser verschneiten Hasenheide.

Kynästhesie. Und anderes

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Heute erscheint bei den Krautreportern der Prolog zur Graphic Novel Kynästhesie von Josefina Capelle und Hans Hütt. Das erklärt vielleicht auch, warum das Bloggen hier etwas rar geworden ist. Gestern erreichte mich die sehr ehrende Einladung zu einem Essay, über den ich anfang Januar nächsten Jahres mehr mitteilen kann. Endlich hüpfe ich nun wieder geheilt durch die Welt, statt wie die letzten...

Angst vor der Gleichheit (Kurzfassung)

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Ein Fanal Am Montag veröffentlicht er auf seinem Blog ein Abschiedsmanifest. Am Dienstagnachmittag geht er in den für Besucher um diese Zeit gesperrten Chor von Notre-Dame, legt den Abschiedsbrief auf den Altar und erschießt sich. Dominique Venner, der Theoretiker der französischen Rechtsradikalen, setzt damit ein Fanal, nur wenige Tage vor der nächsten Großkundgebung am darauf folgenden Sonntag...

Michael-Althen-Preis 2014

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Ich war schon sehr verblüfft, als ich gestern Nachmittag von Claudius Seidl die Nachricht erhielt, dass ich den diesjährigen Michael-Althen-Preis der FAZ erhalte. In der Shortlist wirkte ich wie ein absoluter Außenseiter, was einem Text über Außenseiter als Resonanzkörper gut zu Gesicht steht. Natürlich fühle ich mich auch geehrt, ja, sogar sehr geehrt. Als mir Claudius Seidl dann den Ablauf der...

Distanz als Lernprozess

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Für Jung & Naiv habe ich in drei Wochen 23 Folge in Israel und Palästina produziert. Wir haben viele Stimmen und Positionen zum Konflikt hörbar gemacht, die ein anderes Bild davon vermitteln, worum es in dem Krieg tatsächlich geht. Diesen journalistischen Ertrag will ich durch Martin Lejeune nicht kompromittieren. Ich lasse die Folge mit ihm in meinem YouTube-Kanal stehen. Aber ich mache auch...

Angst vor der Gleichheit

A

Die Angst vor der Gleichheit nimmt ihre aggressiven Impulse aus verweigerter Freiheit. Denn wenn wir die Differenzen verkörpern, wenn unsere Sehnsucht nach Autonomie den anderen Angst einflößt, dann liegt das auch daran, dass wir in jedem Augenblick unseres Lebens die Idee der Freiheit verkörpern. Wir haben uns die Freiheit genommen, Differenzen sichtbar zu machen. Wir zeigen, dass Freiheit...

Instant biographer

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Im Unterschied zu Pulverkaffee ist die Arbeit einer Nachrufautorin, zumal dann, wenn sie für die letzte Seite des Economist schreibt, für die Nachwelt voller Wunder. Routinen, mithin also auch die Wechselfälle eines schlecht gewählten Todeszeitpunkts, entscheiden darüber, welcher liebe Tote es ins Blatt schafft. Das entscheidet man montags. Dienstags wird poliert. Ich versuche mir vorzustellen...

Verlustanzeige

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Um sich herum hatte er ein weltweites Netzwerk feinster Verknüpfungen ins Leben gerufen, das wie eine Galaxie mit ihm als jungem Braunen Zwerg verstanden werden könnte, kein Zentralgestirn mit geordneten Umlaufbahnen, kein Trabant, sondern eine verkörperte Fusionsenergie, die ihn buchstäblich nährte.

Die Ikonographie der Schutzweste

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Es geht um das Überleben, um Leben und Tod. Auf diesen Sachverhalt lenken uns die Westen des Staatspersonals an Bord. Nur die Kanzlerin hat – Ton in Ton – darauf geachtet, dass die Weste sich in ihr habitualisiertes Gleichgewicht fügt, wenngleich der Farbton zwischen Oliv, Petrol und Schlamm auf einen Jenseits-Zustand verweist, auf das Ziel einer Tarnung, die in dem Augenblick auffliegt, in dem...

Regelbruch als Versprechen. Anmerkungen zu Jung & Naiv

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Der folgende Beitrag ist eine kleine Kostprobe auf einen Essay, den ich für einen von Günter Bentele und Felix Krebber bei Springer VS herausgegebenen Sammelband geschrieben habe. Das Buch erscheint im Spätsommer 2014. Ich habe zur Illustration den Beitrag um die jüngste Folge von Jung & Naiv ergänzt, Tilo Jungs Gespräch mit Glenn Greenwald. Ich empfehle besonders den Schluss, an dem Tilo mit...

Die Macht des Vergessens

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Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs über das Recht darauf, vergessen zu werden, hat Bewegung ins Spiel gebracht. Das Vergessen gehört aus eigenem Recht und als anthropologische Errungenschaft zu den schönsten, ja unvergesslichen Gaben der Welt. Mir scheint es wirkmächtiger als das Gedächtnis, von dem wir seit Proust wissen, was davon zu halten ist: Es ist meistens nichts als Lug und Trug...