Wenn ich mich richtig erinnere, entstand dieses Fake-Interview für Radio 100 im Herbst 1988 nach einer Erklärung des AL-Abgeordneten Dirk Schneider. Ich erfand eine Bürgerinitiative unter dem Vorsitz von Prinz Louis Ferdinand von Preußen und phantasierte, dass das Paul Getty-Museum der DDR ein Kaufangebot für die Mauer unterbreitet hatte, weil die Kuratoren die ersten Bilder der Berliner wilden...
Nachtflug: In der Medina von Sousse
Für Huub Niessen Im Sommer 1988 verbrachte ich sechs Wochen in der Medina von Sousse. Ein Freund von mir hatte dort einige Jahre vorher ein Haus gekauft, was mir die Gelegenheit gab, wenige Monate nach der Entmachtung von Habib Bourghiba einen kurzen Vorläufer des arabischen Frühlings zu beobachten. Es dauerte nicht lange, bis ich aus der Rolle des Beobachters in die eines öffentlichen Schreibers...
Geschlecht: Aufruhr. 50 Jahre Stonewall
Das einzige Mittel, dem Entsetzen zu entgehen, besteht darin, sich dem Entsetzen zu überlassen. (Jean Genet) Die folgende Projektskizze verstehe ich als Einladung zur Diskussion. In welcher individuellen und institutionellen Vernetzung ließe sich dieses Projekt im Sommer 2019 realisieren? In der Nacht zum 28. Juni 1969 kam es in der Christopher Street, Ecke 7th Avenue vor der Bar Stonewall Inn im...
Die Wirklichkeit ist der Test
In diese Stimmen tönt schließlich auch das Echo der Volkswagen-Krise. Der Auftraggeber der Studie, die VW des Betrugs überführt hat, heißt John German. Welches Störgeräusch greift aus dieser Krise auf das Bild über, das sich die Welt von Deutschland macht? Vor kurzem sah ich eine Karikatur (ich finde sie nicht mehr), in der zwei Woody Allen Figuren zusammenstehen. Die eine sagt zur anderen: Stell...
Schäubles Rennen gegen sich selbst
Die Idee des Sportmärchens verdanke ich Ödön von Horváth. Heute Abend zeigt die ARD ein Filmporträt von Stephan Lamby über Wolfgang Schäuble. Für Zeit Online habe ich mir den Film angesehen.
Vor fünf Jahren habe ich in meinem alten Blog auch über Lambys Porträt Peer Steinbrücks geschrieben.
Das Lachen des Grauens
So ein Hundstagemorgen. Noch plätschert am schläfrigen Ohr die Presseschau des Deutschlandfunks vorbei. Die Themen wie die ausgesuchten Zitate wirken wie im Schlaf vorhersagbar. Dann bittet Moderator Christoph Heinemann einen Kollegen um ein paar Beispiele aus Social Media Kommentaren zum Thema Flüchtlinge. Leider ist auch dieses Grauen bereits zu geläufig. Es ist der Vorspann zu einem Interview...
Maschinenschaden
Das Stück habe ich heute für die Politik-Redaktion von Zeit online geschrieben.
„Der eigentliche Verrat“
Diesen Beitrag schrieb ich für Zeit Online. Ich bin darin auf die lateinische Wortwurzel tradere zurückgegangen, weil die lateinische Herkunft, anders als die deutsche, einen Aspekt der Zivilisationsgeschichte illustriert, der im Kontext der deutschen Begriffsgeschichte des Verrats fehlt oder verloren gegangen ist: dass im Festhalten oder der Weitergabe von Tradition eine gesellschaftliche...
Amrum. Arbeitstagebuch 1
Von dem kleinen Tisch, an dem ich sitze, schaue ich in der Abendsonne auf die Salzwiesen, das Watt, dahinter in der Ferne Föhr. Die Kinderlieder von 1964 erklingen wieder. Lila war ihr Paletot. Was für ein Irrsinn, dass zwanzig Kinder dieses Lied auf dem Ponywagen sangen, während sie am Hospiz vorbei in die Dünenburg fuhren. Am Abend der Sonnenwende Zucker in der alten Eisenpfanne zum Schmelzen...
Merkur
Ich lese Baecker aufgrund seiner Metaphern wie einen Ebola-Epidemiker. Nicht nur die deutsche Geld-Politik steht vor der Frage, wie sie mit neuen Formen politischer Ansteckung umgehen soll, ohne dass dagegen eine taugliche Immunisierung bereitstünde.
Weddings and Beheadings
Der Text ist von Hanif Kureishi. Er könnte nicht prägnanter davon erzählen, wie der Terror im Alltag eines Filmemachers heimisch wird.
Distanz als Lernprozess
Für Jung & Naiv habe ich in drei Wochen 23 Folge in Israel und Palästina produziert. Wir haben viele Stimmen und Positionen zum Konflikt hörbar gemacht, die ein anderes Bild davon vermitteln, worum es in dem Krieg tatsächlich geht. Diesen journalistischen Ertrag will ich durch Martin Lejeune nicht kompromittieren. Ich lasse die Folge mit ihm in meinem YouTube-Kanal stehen. Aber ich mache auch...
Angst vor der Gleichheit
Die Angst vor der Gleichheit nimmt ihre aggressiven Impulse aus verweigerter Freiheit. Denn wenn wir die Differenzen verkörpern, wenn unsere Sehnsucht nach Autonomie den anderen Angst einflößt, dann liegt das auch daran, dass wir in jedem Augenblick unseres Lebens die Idee der Freiheit verkörpern. Wir haben uns die Freiheit genommen, Differenzen sichtbar zu machen. Wir zeigen, dass Freiheit...
Die Ikonographie der Schutzweste
Es geht um das Überleben, um Leben und Tod. Auf diesen Sachverhalt lenken uns die Westen des Staatspersonals an Bord. Nur die Kanzlerin hat – Ton in Ton – darauf geachtet, dass die Weste sich in ihr habitualisiertes Gleichgewicht fügt, wenngleich der Farbton zwischen Oliv, Petrol und Schlamm auf einen Jenseits-Zustand verweist, auf das Ziel einer Tarnung, die in dem Augenblick auffliegt, in dem...
Regelbruch als Versprechen. Anmerkungen zu Jung & Naiv
Der folgende Beitrag ist eine kleine Kostprobe auf einen Essay, den ich für einen von Günter Bentele und Felix Krebber bei Springer VS herausgegebenen Sammelband geschrieben habe. Das Buch erscheint im Spätsommer 2014. Ich habe zur Illustration den Beitrag um die jüngste Folge von Jung & Naiv ergänzt, Tilo Jungs Gespräch mit Glenn Greenwald. Ich empfehle besonders den Schluss, an dem Tilo mit...
Der Wanderfalke als Metapher
Der Falke ist Späher und Greifer. Das ist der Ausgangspunkt dafür, über die Kulturtechnik des Spähens nachzudenken. Es gibt in so beglückenden Fällen des Lesens eine mitlaufende luzide oder auch mild paranoide Leseerfahrung. Ich verstehe sie als Versuch, Bilder als Übersetzungshilfe zu benutzen. So ging es mir gestern, als ich las, wie Baker den Sehsinn des Falkens beschrieb. Der Wanderfalke...
Jenseits der Welt
„Dem Schiffsnamen gab der Eigentümer der Reederei eine eigenwillige Bedeutung, indem er ihm zwei chinesische Zeichen zugrunde legte, die zusammen „Jenseits der Welt“ bedeuten. Der Name „Sewol“ stand aber auf dem Schiff auf Koreanisch, so dass niemand auf diese Bedeutung gekommen wäre. Im Koreanischen hat „Sewol“ eine andere Bedeutung. Das Wort lässt sich schwer ins Deutsche übersetzen. Es...
Schutz unterirdischer Leitungen
Wladimir Sorokin erzählt in der neuen Ausgabe der New York Review of Books von den Tagen des Putschs gegen Gorbatschow im August 1991. Die aufgebrachten Bürger Moskaus auf dem Lubjanskaja Platz vor dem Hauptquartier des KGB schienen entschlossen, das Standbild Feliks Dzierżyńskis zu stürzen. Die Schlinge hing ihm schon um den Hals, als ein Abgesandter Boris Jelzins auftauchte und die Bürger um...
Mehr Licht – oder nicht?
Der stille Brüter, eine aus dem Blickwinkel der Kommunikationsgesellschaft unerfreuliche Figur, verwandelt sich in ein Sinnbild trübster Datenautonomie. Das kann es nicht gewesen sein. Vielleicht sprießen bald neue Gefäße, bilden sich andere Synapsen in der Rekonstitution individueller Autonomie.
Zur politischen Kultur des Neobiedermeiers
Absolute Macht wird durch absolute Unterwerfung unter ihre Opportunitäten vorauseilend legitimiert. Egal, was oder wer darüber auf der Strecke bleibt. Die Willkür, heute durch beliebige Manipulationen bezeug- oder belegbare Kompromate in Verkehr zu bringen (ganz zu schweigen von der Insuffizienz digitaler Beweisführung) betrachte ich unter diesem Blickwinkel als Symptom für einen sich von Normen...