Was hier nun folgt, ist so abwegig, dass es nur als Produkt einer schrägen Phantasie durchgehen wird. Keine Verschwörungstheorie, keine finsteren Machinationen, nur der Versuch, aus den Ungereimtheiten der letzten Tage eine sehr zweifelhafte Story zu fabrizieren.
In den Tagen vor dem Parteikongress ist der Kandidat gereizt, verärgert, geschwächt. Im Fonds seiner Limousine, dem Beast, klagt er vor sich hin, wie schön es doch wäre, wenn er wie einst Jesus zu einem Wiederauferstandenen würde. Jeder werde sich danach sehnen, seine Finger in die Wundmale zu stopfen. Er wäre gerne nicht nur heilig, sondern ein neuer Heiland. Sein engster Berater versetzt trocken, dass er dafür aber erst einmal gekreuzigt werden müsste, das sei nicht so einfach zu haben.
Aber in diesen Kreisen gelten auch Stoßseufzer als Wunsch, der zu erfüllen ist. Nur wie ließe sich das deichseln? Kreuzigung kannste vergessen, da sind sich die Jungs einig. Aber ein Attentat, das in diesen Breitengraden nur selten überlebt werde, das ließe sich arrangieren. Nur wie?
Wir brauchen einen Loner, das ist schnell klar. Nur woher? Die lassen sich nicht backen! Geht auf die Suche, sagt der Stabschef. Klärt mit Mugel, ob es aus jüngster Zeit seltsame Suchanfragen gibt, die als Indiz für Pläne gelten können.
Mugel liefert. „Da will einer wissen, aus welcher Entfernung Lee Harvey Oswald 1963 auf John F. Kennedy geschossen hatte.“ – „Oh!“ schreien sie unisono. „Den schauen wir uns näher an!“ Schnell stellt sich heraus, dass der Junge ein loner ist, wie er im Buche steht. Als hätten sie ihn für die sinistren Pläne gebacken und frei Haus geliefert bekommen.
Die Leibwächter erhalten den Auftrag, im Perimeter für die Kundgebung am 13. Juli nach günstigen Plätzen für einen Schützen zu suchen. Das Dach eines Hangars scheint besonders geeignet, weil ein davor stehender Baum den Blick der Personenschützer behindert. Für die Überwachung dieses Bereichs soll die tumbe örtliche Polizei sorgen!
Der loner fährt, ohne zu ahnen, dass er als nützlicher Idiot bereits überwacht wird, zum Ort der Kundgebung, seine Pläne nehmen Gestalt an. Im Besitz seines Vaters sei eine AR-15, der Junge darf schon lange damit üben. Die Magazine für den Hausgebrauch haben 30 Schuss. Treffer sind verheerend.
Bei den Treffen mit den lokalen Cops wird ausgemacht, worauf sie zu achten haben, alles sei unter Kontrolle, aber schön, ein paar zusätzliche Leute dabei zu haben, die aufpassen! Die finsteren Gestalten beobachten den Jungen in den folgenden Tagen dabei, wie er den künftigen Tatort untersucht. Sie schreien kleine Jubelschreie aus, als er sich für das Hangardach entscheidet, auf das sie ihn auch selbst geschickt hätten. Er sitzt in der Falle und weiß es nicht!
Es kommt der Tag. Den cops fällt der Junge auf, aber sie halten ihn nicht fest und verlieren ihn wieder aus den Augen. Mit so einem Futteral und einer Trittleiter in der Nähe einer Kundgebung des Präsidentem ist man vermutlich bloß ein verrückter Fotograf! Dass im Futteral eine Waffe steckt, die mit einer Mündungsgeschwindigkeit von über 800 Metern in der Sekunde auch einen Elefanten umhaut, wen juckt das schon?
Der Tag kommt, fast wäre es ein Freitag der dreizehnte geworden, aber nicht alle Wünsche gehen so passgenau in Erfüllung! Der Präsident redet den üblichen Quatsch, dreht und wendet sich, als bade er im Jubel seines Fußvolks. Seine Berater haben beschlossen, ihn nicht über die Details zu informieren. Sie seien auf alles vorbereitet. Mehr will er nicht wissen.
Fast wäre der Junge erwischt worden. „Da ist einer auf dem Dach!“ schreien Zeugen aus dem Publikum. Ihr Schreie werden überhört. Soll er doch erst liefern, ehe wir zugreifen!
Die Schüsse fallen, der Präsident fasst sich ans Ohr, er wird von den Personenschützern zu Boden gedrückt. In diesen wenigen Sekunden, in denen er nicht gefilmt wird, kratzt einer der Eingeweihten das Elefantenohr des alten Mannes, es ist bloß ein kleiner Kratzer, gut genug für eine dünne Blutspur, die die gefärbte Hamsterbacke des alten Mannes hinunterrinnt.
Er darf noch eine heroische Pose mimen und „fight!“ brüllen, ehe ihn die Leibwächter ins Beast schleppen und davon brausen. In den kommenden Tagen trägt er einen lappigen Verband über der Kratzwunde. Zwei Wochen später ist nichts mehr von der Verletzung zu sehen. Wie das? Selbst wenn nur der Splitter einer Kugel mit 800 Metern in der Sekunde an dem Ohr geritzt hätte, hätte er bluten müssen wie Sau, murmeln die Eingeweihten.
Damit ist der Mythos etabliert. Er ist wahrhaftig wieder auferstanden! Wir haben geliefert, seufzen die Hintersassen. Nur erfahrene Ärzte und Krankenschwestern wundern sich darüber, dass weniger als zwei Wochen nach dem Schuss die Wunde des alten Mannes verschwunden ist.
Nichts da, wo Thomas den Finger hineinlegen könnte!
PS 07.01.25 Hier noch der link zu einem Interview mit dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp. Ein O-Ton daraus: „Ironischerweise stimmt der Fotograf, soweit dessen Vita diesen Schluss erlaubt, mit der Wirkung seiner Aufnahme wohl kaum überein. Aber auch dies gehört zum Bildakt: dass der Schöpfer über die Eigenmacht des Werkes nicht oder nicht notwendig entscheidet. Wer dies nicht mitbedenkt, wird keine Distanz zwischen sich und die Bildmacht bringen können.“