Verwirrung und Verirrung

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Mag sein, dass die Epiphänomene der letzten 24 Stunden bloß eine Nebenwirkung der leichten Narkose sind, die mir am Montagmorgen verabreicht worden war. Nach der Heimkehr gestern fiel ich beim frühen Mittagsschlaf in einen Traum, in dem ich mit größter Leidenschaft und Empörung den Diebstahl des Bettes bekämpfte, in dem ich von diesem Diebstahl träumte. Selten habe ich Freuds Bemerkung, der Traum sei Hüter des Schlafes und Wegbereiter des Aufwachens, in solcher Klarheit am eigenen Leib erfahren.

Heute Morgen ging diese Traumreise weiter. Auf dem Rückweg von der Hunderunde erspähte ich auf einer Bank im Gleisdreieckpark eine jungfräulich unberührte FAZ in einem dünnen Plastiküberzug, der sie vor Regen schützte und in dem sogar noch ein Zustellzettel lag mit der Adresse der Abonnentin. Hatte sie das liegen gelassen, hatte der Zusteller das verloren – wir wissen es nicht.

Jedenfalls begab ich mich mit Hund und Fund nach Hause zum Frühstück, das natürlich erst zubereitet werden musste in der gebotenen Ordnung: die Cafetiere wurde aufgesetzt, das Müsli zubereitet, der Hund gefüttert (sie frisst mit ihrem Hundefutter immer auch die Schalen des in das Müsli geschrappten Apfels), schließlich saß ich auf dem gewohnten Platz, hatte die ersten Löffel genossen (nach dem übelüblichen geschmacklosen Futter des Krankenhauses) und ich nahm mir das Blatt zur Hand und geriet daraufhin in eine erstaunliche Verirrung. Ich schien mir sicher, dass heute Mittwoch sei, weil gestern Dienstag war usw., aber wie konnte die Donnerstagsausgabe bei mir am Mittwochmorgen auf dem Küchentisch liegen, hatte ich eine Zeit-Raum-Achsen-Verschiebung überlebt, war ich den Zeitgenossen auf dem Weg zu den neuesten Nachrichten des kommenden Tages um 24 Stunden voraus? Ich hatte bei dem Gedanken, mich gleich mit dem Blatt an den Küchentisch zu setzen, schon darüber gerätselt, was wohl in der heute fälligen Geisteswissenschaftenseite zu lesen sein werde. Nun aber hielt ich eine Donnerstagsausgabe am Mittwochmorgen in der Hand. Ich fühlte mich beraubt, die Erwartung war enttäuscht, auch der Blick auf das Datum wirkte verwirrend, zur Vorsicht schaute ich noch mal auf das Handy und es bestätigte mir, dass ich mit Fug und Recht darauf hätte vertrauen können, heute die Geisteswissenschaften zu lesen, und zwar nicht am Bildschirm, wie sonst, sondern mal wieder mit dem zu dünnen Papier, das auch gebügelt nicht stabiler werden würde. Unvergessen der barsche Handschlag, mit dem Wolfgang Schäuble (rip!) einst in dem Film von Stephan Lamby das dünne Papier an Bord der Flugbereitschaft in lesbare Form schlug. Wenigstens diese Gemeinsamkeit, sagte ich mir damals, teilte ich mit dem Finanzminister a.D..

Nun zurück in meine Küche: es stellte sich heraus, dass ich die Ausgabe vom vergangenen Donnerstag in der Hand hielt. Warum sie so unberührt makellos in ihrem Schutzumschlag womöglich sechs Tage auf dieser Bank darauf gewartet hatte, mich in Verwirrung zu stürzen, das wissen nur die Götter.