Midas und Pygmalion

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Kürzlich erinnerte ich mich daran, dass ich im Sommer 2013 zwei Metamorphosen des Ovid – sozusagen – weitergeschrieben habe: die Geschichten von Midas und Pygmalion.

Die Legende von König Midas, erzählt von seinem Schatzmeister

Ein seltsamer Mensch dieser König. Kalt wie ein Fisch. Der Name Midas? Der kommt vom Nichts. Er weiß nichts von bleibendem Nutzen. Er setzt auf Cash und auf Gold. Mit einer Hand für Würfel. Wenn ihr mich fragt, was ihn prägt, sage ich Euch: Es ist die Gier in den Augen. Die Eltern waren der Gordius und die Cybele. Vielleicht steckte auch ein Satyr mit drin. Kommts daher, dass er die Eltern nicht achtet noch seine Kinder liebt? Leben fährt in ihn durch Gier.

Eine Parze erzählte mir, die Geschichte des Midas habe in der Wiege begonnen, als Ameisen den Neugeborenen mit Körnern versorgten. Da kam die Rede auf, dass er dereinst der reichste Mann der Welt sein werde.

Auf dem Weg, sagt die Geschichte, kam ein Mann aus dem Gefolge des Dionysos seinem Gott abhanden. Silen hieß der. Bis heute bleibt unklar, ob Bauern den Betrunkenen für ihren König fingen oder ob Midas selbst heimlich den Brunnen des Silen mit schwerem Wein gefüllt hatte. Denn Midas war aus auf einen Handel mit dem Gott.

Kaum war der Silen wieder nüchtern, bringt ihn Midas zum Gott zurück. Dionysos sieht, dass der König nicht so uneigennützig ist, wie er tut. Er stellt ihn auf die Probe, gewährt ihm einen Wunsch. Midas, von Gier getrieben, bittet den Gott um die Gabe, alles, was er berühre, in Gold zu verwandeln.

Den Wunsch hat der Gott erfüllt. So komm ich ins Spiel. Denn mein Job ist es, darauf zu achten, dass der Wert nicht verfällt, dass der Markt nicht verrückt spielt. Ich muss das Beteiligungs-Portfolio überwachen, den Fluss im Gang halten, die Quartalsberichte überwachen. Doch halt, da sind wir noch nicht. Denn wie lässt Midas seiner Gier freien Lauf? Holz, Stein, Ähren, Wasser, Frauen, ganze Häuser verwandelt er in Gold. Erst als er merkt, was das heißt, hält er ein. Die Legenden behaupten, der Gott habe Midas auch die zweite Bitte erfüllt und ihn befreit von der Gabe, dem Fluch.

Ich komm ins Spiel durch eine App, ok, eine Betaversion, für meine Zwecke reicht sie. Seit ich von Midas las, träumte ich davon, dem König den zweiten Wunsch wieder auszureden. Das hat manchen Kraftakt erfordert. Mir war klar, dass ich von einer Zeitmaschine allein nichts haben würde. Nach einer Woche wäre der König tot. Ich brauchte eine Heerschar von Erfindern, habe Business Angels und Private Equity Fonds gefunden, die verrückt genug waren, meine Projekte zu finanzieren. Wir brauchten für den König eine osmotische Kost, einen Cocktail, der den Stoffwechsel verlangsamt. Bis wir ihn ins Elysium entlassen, das hat noch Zeit, soll seine durch meine Tricks wiedererweckte Gabe sich amortisieren.

Die ersten Feldversuche … das wollen Sie nicht wissen. Es hat geklappt. Das Verfahren hat sich bewährt. Der König wohnt in sonniger Lage, Sie wissen schon, mehr kann ich nicht sagen. Wir dosieren den Zufluss, so dass wir nichts übertreiben. Über meine Strohmänner sind die Bergwerkgesellschaften unter Kontrolle. Die Nachtschicht vergräbt, was die Tagschicht gefördert hat. Die Kreislaufwirtschaft könnte nicht stabiler sein.

Mein Gold-Imperium ist gehedget. Russland, Ghana, Südafrika, die Bundesbank, Fort Knox, der Erzengel Gabriel.

Wer zieht mir da am Ohr?

Pygmalion

Was ich Euch erzähle, ist ein Lied aus einer fremden Welt. Einst durchquerte ich Savannen, grub Wasserlöcher für meine Familie, überquerte mit Hannibal die Alpen. Da hieß ich Suru. Die Kraft des steilen Zahns, der ich mal war, versetzte Tiger, Löwen, Griechen, Römer und Nashörner in Furcht und Schrecken. Ich räumte Hindernisse über Hindernisse beiseite. Kinder durften an mir schaukeln. In mir lag eine Kraft, die Ihr nicht kennt, nicht mal im Traum.

Ich war der Stoßzahn eines großen alten Elephanten. Als dieser starb, nach langem Leben, nahm man mich meinem Träger ab. Weil ich so groß und auch so schwer war, hat man mich am Stück verkauft. Drei Meter lang. 200 Kilo schwer. Man verschiffte mich über das Meer nach einer Insel, die heute Zypern heißt. Gekauft hat mich ein König. Pygmalion. Ein seltsamer Mann! Heute bin ich sein Geschöpf, die schöne Galathea, 165 Zentimer groß, 56 Kilo leicht, ein blasser und – wie meine Zofe sagt – ein so schöner Hauch in der Landschaft.

Was Pygmalion bewegt, ich weiß es nicht. Wie auch! Meine Zofe erzählt mir viel von seiner Geschichte. Viele Jahre war er ein Eigenbrötler. Erst ein Schwerenöter. War es der Überdruss, der ihn der Welt abhanden kommen ließ? War es männlicher Kleinmut? Ich weiß es nicht. Ich bin nichts als der Rest eines Zahns.

Als ich noch unversehrt war, lag ich im Atelier Pygmalions herum. Seit er keine Frauen mehr um sich duldete, schnitzte er sie. Dunkle aus Ebenholz, alabasterne, marmorn kalte Göttinnen. Erst als er anfing, mich zu bearbeiten, ging etwas in ihm vor. Die Nerven in mir waren ja nicht mehr. Ich kann darüber nur vom Hörensagen berichten. Wie fieberhaft schnitt er an mir herum. Raspelte, sägte, polierte. Er haute mich aus der Tiefe des Elfenbeins, des großen steilen Zahns, der ich mal war, ans Licht.

So stand ich schließlich da vor ihm, auf dem Stein, im Schritt bewegt, wie es schien, aber starr im Licht der frühen Sonne. Da sei rasende Sehnsucht in Pygmalion hinein gefahren. Überall fasst er mich an, fassungslos darüber, dass ich so kalt bin, berührt mich mit den Lippen. Küssen heißt das, sagt meine Zofe, küssen! Und presst mich an sich. In einem dieser Augenblicke muss es geschehen sein, dass er darum flehte, mich zu beleben. Warum die Göttin den Wunsch erhörte? Ich weiß es nicht und will es nicht wissen. Ihr Hauch, der in mich fuhr, gab mir Sehnen, Muskeln, Gelenke. Zu mehr hat es nicht gereicht. Vielleicht war es aus Spott der Venus über die Angst Pygmalions vor den Frauen, dass sie mir die Kraft der Gefühle erspart hat, von denen meine Zofe erzählt.

So bin ich ins Leben getreten und doch nicht ganz. Mich überströmt etwas – wie einst der Sambesi. Kennt ihr die Wasserfälle, die mich als jungen Zahn erfrischten? In den König fährt die Glut des Verlangens. Ich spüre die Hitze. Mehr nicht. Der Zahn in mir sehnt sich zurück in die Savanne, weg von dem Mann, seinem Wahn, den Gefühlen.