Als wärst du ein anderer

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Die Tragödie von Orlando hat einen Schlussakt, der nicht enden will. Er kann auch nicht enden. Nicht aufgrund der Trauer und des Zorns und der Anteilnahme oder ihrer Maskerade, die nur zu umschreiben  vermag, was sie nicht aussprechen will. Auch nicht, weil der Status der Opfer wie ein kultureller Replikationskonflikt wirkt, der die tatsächlichen Opfer und die Gruppe, die sich infolge des Anschlags als Opfer designiert fühlt, um die Menschenwürde bringt, auf die sie den gleichen unteilbaren Anspruch geltend macht, den das Grundgesetz allen Menschen zuspricht. Was wäre das für eine Menschenwürde, die nur unter der Voraussetzung anerkannt würde, dass sie ihr Leben lässt?

Es passiert etwas Anderes. Die Forensik des Anschlags enthüllt Details über den Täter, die seinen Hass als einen Hass auf sich selbst kenntlich machen. Der leere Blick des Fotografen auf sich selbst, das Selfie Omar Mateens, das jetzt weltweit zirkuliert, ist ein Freeze-Moment, ein Bild-Ausschnitt, in dem er – quasi autosuggestiv – die Übereinstimmung mit sich selbst bekundet, die er tatsächlich nicht zulässt.

Er spaltet etwas ab, etwas, das unentwegt versucht, sich aus ihm herauszuarbeiten. Er hat es nicht unter Kontrolle, ohne dass es ihn kontrollierte. Er macht ihm symbolisch Platz durch ein Profil, vielleicht auch mehrere, auf Dating-Seiten. Er macht sich begehrbar, verabscheut diejenigen, die ihn begehren könnten. Wie oft hat er sein Profil gelöscht, auf Pause gestellt, wieder aktiviert? Wie oft hat er diesen symbolischen Tod am eigenen Leib empfunden, bis er die beiden Waffen kaufte, mit denen er den Selbsthass tödlich gegen Andere wendete?

Es gehört zu den Legenden, dass das Coming Out eines schwulen Mannes wie die irreversible Entpuppung einer Larve sei, wie ein soziobiologischer Vorgang eine Phase beendet: einmal durchlaufen, befindest du dich auf der anderen Seite. Nein, so ist es nicht. Schon deswegen ist es so nicht, weil dieser Mensch sich unentwegt weiter verwandelt. Er wird vielleicht dick oder bleibt dürr. Er wird alt, bekommt eine Glatze, fängt an zu hinken, verliert auf der Skala der Schönheitswettbewerbe alles, worauf es ankommen könnte, um dem Restchen an Trieb noch etwas abgewinnen zu können. Notre Dame des Fleurs lässt grüßen. Der Selbsthass kann vielleicht in Schach gehalten werden. Um welchen Preis?

Die Anerkennung der Würde könnte daran etwas ändern. Die öffentliche Resonanz der letzten Tage dokumentiert allerdings einen Wendepunkt. Es sieht so aus, als läge der Peak der zivilgesellschaftlichen Anerkennung hinter uns. Jetzt sehen wir uns erneut mit dem Stereotyp des unsicheren Kantonisten konfrontiert, als der wir im Laufe unseres Lebens immer mal wieder wahrgenommen werden. Als Verräter.

Jetzt, mit Omar Mateen, kommt dieses Bild wieder in Verkehr. Wir sind nicht nur die Opfer. Wir sind auch der Mörder.