Über den paranoiden Stil der amerikanischen Politik

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Diesen Text schrieb ich Ende 2016, wenige Wochen vor der ersten Amtseinführung Donald Trumps für den Freitag . Die damalige Aktualität holt uns acht Jahre später wieder ein. Ich habe den Text für den Blog leicht redigiert.

Klassiker der politischen Literatur öffnen die Augen für Gegenwartsphänomene. So ein Klassiker der politischen Literatur ist Richard Hofstadters Studie. Sie erschien 1964, als Senator Barry Goldwater für die Republikaner gegen John F. Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson kandidierte. Mit Goldwater begann (erneut) der Aufstieg einer radikalen Rechten in den USA. 52 Jahre (bzw. 60 Jahre) später befolgt Präsidentschaftskandidat Donald Trump alle Beobachtungen Hofstadters wie ein Skript.

Hofstadters erste Beobachtung bezieht sich auf den paranoiden Stil: Er übertreibt hemmungslos, verdächtigt pauschal und phantasiert von Verschwörungen. Hofstadter adaptiert den Begriff der Paranoia ohne Pathologisierungsabsicht. Das Bemerkenswerte am paranoiden Stil scheint, dass auch ganz normal scheinende Leute sich seiner bedienen. Paranoia manifestiert sich nicht nur in schrillen Tönen. Auch ihr scheinbar völliges Fehlen lässt sich als Indiz für ihre Präsenz lesen. Der Stil von Hillary Clintons Kampagne lebte von einer fast panikartigen Abwehr gegen eine solche Vielzahl von Vorwürfen, dass ihre Präsidentschaftskampagne wie das Negativ eines paranoiden Konstrukts wirkte. Alles Anstößige schien getilgt. Fast jedem wird alles recht gemacht. Ihre Paranoia gelangt auf Samtpfoten in den Fokus. Ähnlich verhalten acht Jahre später auch die Kampagne von Kamala Harris, als sei sie mit Teflon gepanzert, weswegen nichts an ihr hängen bleibt, nicht mal richtige AnhängerInnen (oder da draußen…). Instantane Vergessbarkeit.

Im paranoiden Stil erklingen Ideen, die sich nicht um Faktenchecks kümmern. Sie leben von einer sich selbst erklärenden Evidenz. Anfänge reichen zurück bis in die Gründerjahre der Vereinigten Staaten. Jedes Jahrhundert hat seither eigene Beispiele hervorgebracht. Den Anfang machten Ende des 18. Jahrhunderts Warnungen vor den bayerischen Illuminaten. Im Kern eher einer aufklärerischen Idee zugetan, richtete sie sich in den jungen Vereinigten Staaten gegen eine Verschwörung, die sich, ausgehend von der Französischen Revolution, gegen alle Religionen und christliche Regierungen richtete.

Der paranoide Stil verknüpft lüsterne Ideen mit verletzten Eigentumstiteln, Abtreibungstees und pestilenzartigem Gestank. Man riecht in paranoider Prosa den Leibhaftigen höchstselbst. 150 Jahre nach ihren Anfängen bediente sich die rechtsradikale antisemitische John Birch Society der gleichen Muster, als sie versuchte, eine TV-Serie über die Vereinten Nationen zu verhindern. Freimaurer stehen für konkurrierende Loyalitäten mit eigener Gerichtsbarkeit, was in einem jungen Staat als der geborene Feind gebrandmarkt werden musste.

Die nächste Etappe paranoider Ideen richtete sich, spürbar bis weit in das 20. Jahrhundert, gegen den Katholizismus. Auch hier spielt der Vorwurf konkurrierender Loyalität die entscheidende Rolle. An der Spitze stand ironischerweise der Erfinder der Telegraphie Samuel F.B. Morse. Sein Vater war der geistige Vordenker der Antifreimaurerverschwörungen. Salopp formuliert: „Schiffe, Forts und Armeen bedroht. Stop.“ In der Kürze des Telegramms verbirgt sich ein komplexer paranoider Code. Der Erzbösewicht kam aus Österreich in Gestalt jesuitischer Missionare. Gegen sie wähnte sich der Protestantismus in einem Kampf auf Leben und Tod.

Puritaner-Porno der Enteigneten

In Nachfolge des Marquis de Sade hegten puritanische Einheizer die erstaunlichsten sadomasochistischen Phantasien über versaute Priester, Missbrauch des Beichtstuhls und liederliche Klöster. Ihr Stil sucht immer Zuflucht zu Enthüllungen. Ihr fernes Echo reicht aus dem 19. Jahrhundert bis zu Julian Assange. Der Antikatholizismus fand seinen vorletzten Höhepunkt im Zweifel an der Loyalität des Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy.

Die moderne radikale Rechte fühlt sich enteignet. In diesem Gefühl geht es um virtuelle Eigentumsrechte, die Art zu denken und zu reden, eine fast biologisch begründete Abwehr gegen die Idee der politischen Korrektheit, eine Verteidigung der amerikanischen Tugenden, die von Weltbürgern und Intellektuellen zersetzt werden.

In der Enteignungsphantasie passiert etwas Bemerkenswertes: In ihr adaptiert und camoufliert die radikale Rechte die kommunistische Idee der Expropriation der Expropiateure. Indem sie das Eigentum biologisiert, dreht sie die Idee des Klassenkampfs um in eine nationalistische oder völkische Ideologie. Das Internet schafft dafür eine sich selbst verstärkende Echokammer. In dieser Hölle fühlen sie sich zuhause. Die paranoide Rechte radikalisiert sich in einem Teufelskreislauf.

Ein wesentliches Merkmal des paranoiden Stils ist der Vorwurf des Verrats und der Verschwörung. Die Regierung befindet sich in der Hand von Agenten, die gegen die Interessen des Volks handeln. Diese Agenten leiten ein Netzwerk von Gefolgsleuten, die alles unter Kontrolle bekommen: die Medien, die Schulen, die Unis und damit den Widerstand der treuen Landsleute untergraben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Paranoia ihren perfidesten Ausdruck in den Untersuchungen des Senators Joseph McCarthy gegen unamerikanische Umtriebe. Der paranoide Stil greift zu apokalyptischen Bildern, phantasiert vom Weltuntergang. Sein Basislager befindet sich naturgemäß immer an einem Wendepunkt zwischen Leben und Untergang. Das begründet die Militanz des paranoischen Stils. Immer geht es um den Endkampf. Der Feind muss vernichtet werden.

Nichts geht über einen Feind, der alle Eigenschaften eines Supermenschen aufweist und deshalb Quelle allen Übels ist. Die Struktur dieses Denkens bezeugt den Charakter einer Projektion. Im Feind erkennt sich der Paranoiker selbst, weswegen der Kampf nur tödlich ausgehen kann. Sie ahmen den Feind bis ins Detail nach, um ihn besser vernichten zu können. Kein Wunder, dass sie begierig Ideen des Feindes adaptieren: „Gib mir zwei, drei Leute in einem Dorf und ich habe es in meiner Hand.“ So finden Strategien Maos über die Counterinsurgency im Vietnamkrieg bis nach Afghanistan, in die aktuelle Politik der USA und des Islamischen Staats zugleich.

Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem System die Figur des Abweichlers. Seine Enthüllungen gelten als unhinterfragbare Wahrheit. Der Abweichler ist Zeuge, Märtyrer und Prophet, auf den in der Stunde der Wahrheit endlich alle hören.

Der paranoide Stil ist detailversessen. Seine Beweisführung wächst exponentiell um die Zahl der Belege, damit bald endlich allen die Wahrheit klar vor Augen steht. Hofstadters Essay endet mit einem wunderbaren Satz: „Wir alle erleben uns als Leidtragende der Geschichte. Der Paranoide aber leidet doppelt – an der realen Welt wie an seinen Phantasien.“