Go West, Young Man!

G

Barack Obama war in Kalifornien. Für Town Hall Meetings. Für die Late Night Show mit Jay Leno. Für einen Besuch in einer Elektrofirma.

Die Ringe unter den Augen sind dunkel. Das Amt fordert seinen Tribut. Die Auftritte des Präsidenten aber lassen keinen Zweifel aufkommen. Sein Besuch bei Jay Leno zeigt, wie er Unterhaltung mit der Haltung eines Präsidenten verbindet. In dem Late Night-TV-Format für die amerikanischen Lachmuskeln erzählt er seinen ökonomischen Gospel, doziert dabei nicht, sondern macht seinen Punkt. Worum es geht, was auf dem Spiel steht, welche Probleme er gleichzeitig bearbeitet.

Auch die kalifornischen Bürger kümmerten sich um mehrere Probleme gleichzeitig – ihre Krankenversicherung und die Hypotheken, die Altersvorsorge und die Ausbildung ihrer Kinder. So beantwortet Obama die Heuchelei seiner Kritiker und macht Boden gut. Der ist in diesen Tagen kochend heiß geworden. Der bodysurfer tanzt auf dem Vulkan.

Jetzt aber erzählt er Jay Leno über das Leben in der Blase. 750 Meter über das Messegelände von Orange County laufen? Kommt nicht in Frage. Macht der Secret Service nicht mit (erst auf dem Rückweg. Dann sind die Scharfschützen in Position).

Das Leben in Washington sei wie American Idol, jeder spiele Simon Cowell. Für deutsche Leser adaptiert: Die Politik sei wie „Deutschland sucht den Superstar“ – aber alle wollten Dieter Bohlen sein … Obama macht die AIG-Geschichte anschaulich – wie aus einem drögen Versicherer ein Zombie wird – und kriegt den Bogen zurück zu der Moral von der Geschicht: But the larger problem is we’ve got to get back to an attitude where people know enough is enough, and people have a sense of responsibility and they understand that their actions are going to have an impact on everybody. And if we can get back to those values that built America, then I think we’re going to be okay.

Leno kontert das mit einem Joke. Obama hat einen guten Lauf. Was zu dem Desaster geführt habe, sei alles vollkommen legal gewesen. Jetzt aber sei gesunder Menschenverstand geboten, eine vernünftige Regulierung.

Alles ist schon gelaufen, als Obama einen peinlichen Fehler begeht. Bowling ist nicht seine Stärke, die Bowling-Bahn im Weißen Haus leider nicht für Basketball umgebaut. Die bescheidenen Punkte, die er erzielt, seien eher ein Fall für die Special Olympics. Der Aufschrei „Skandal, Skandal!“ war augenblicklich. (Ich habe das nicht zum Thema gemacht. Denn ich bin beim Bowling noch unendlich viel schlechter als Barack Obama. Ich schmeiß mich immer der Kugel hinterher. Man sagt mir dann gerne, ich solle loslassen. Aber darum geht es nicht.)

Rhetorisch ist diese Situation interessant. Alles ist gesagt, selbstironisch hat Obama Punkte gemacht. Bowling? Naja. Aber der selbstkontrollierte Verfassungsrechtler schiebt diesen Satz hinterher: It´s like – it was like Special Olympics, or something. Großes Theater nach der Sendung. Nein, nein, der Präsident findet geistig behinderte Sportler wunderbar und hat sich nichts dabei gedacht, worüber heuchlerische Hüter der politisch korrekten Ausdrucksweise schäumten. Natürlich hat er sich was dabei gedacht. „Oh, nein, schon wieder dieses Thema, was für ein Schwachsinn!“ usw. Und dann schoss ihm dieser Vergleich durch den Kopf. Diese Fehlleistung ist Obamas Bretzel. Misunderestimated. Er setzt an, sagt schon „das ist  wie“ … merkt, da läuft was schief, weil es nicht gut aussieht, Jay Leno einen reinzuwürgen, und dann nimmt das Verhängnis seinen Lauf.

Die Kommentare selbst der Obama wohl gesonnenen Medien werden schärfer, nicht nur gegen den Präsidenten, seine Regierung und den Kongress. Auch gegen die europäischen Politiker wird scharf geschossen. Kosmische Kurzsicht beschleunige den Weg in den Abgrund.

Nehmen wir Abstand, versuchen wir einen Vergleich und phantasieren darüber, wie Politik und Unterhaltung auch hier zusammen kommen können. Stellen wir uns etwa vor, die Bundeskanzlerin verteidigte ihre Wirtschaftspolitik mit einem Auftritt in München. In der Residenz. Interviewt von Thomas Gottschalk – nein, besser Harald Schmidt. Ok, sie wird keine Witze reißen über Bowling und Baseball oder einen wasserdichten Hund, den sie für ihren Mann kauft, wenn sie vom Londoner Gipfel zurückkommt. Aber Angela Merkel könnte, was sie mal bei der FAZ getan hat, über ihre Wagner-Lieblingsinszenierung reden (Heiner Müllers Tristan und Isolde). Das Sehnsuchtsmotiv. Harald Schmidt spielte sogleich den Akkord auf dem Flügel der Residenz. Sie redeten über Ränkeschmiede, strahlende Helden, sinnlose Opfer. Edmund Stoiber und cher ami Nicolas säßen in der ersten Reihe. Chacun sa merde!

Aber dann im uckermärkisch gefärbten Tonfall das Gelichter aus der Latüchte scheuchen. Nicht versinken in Selbstmitleid, Klagen und Schuldvorwürfen. Ärmel aufkrempeln. Anpacken. Dafür brauchen wir Helden des Alltags. Tristanakkord kommt schon wieder (geht nie verloren). Wirtschaftswunder! Filzlatschen aufheben für später, wenns im Alter kalt wird (das wäre ihr Wink an den größten Oppositionsführer aller Zeiten).

Aber darauf können wir lange warten.