Der Besuch des Kanzleramtsministers Thomas de Maizière bei der FAZ hat heute endlich die gebührende Antwort gefunden. Offenbar waren auch die Kollegen in Frankfurt entsetzt, als sie hörten: „Die Politik müsse derzeit mit einer Schnelligkeit Entscheidungen treffen, die es nicht gestatte, sie zu erklären oder gar Diskussionen mit den Bürgern über grundsätzliche Entscheidungen zu führen.“
Wulf Schmiese nimmt diese Aussage zum Anlass für den Leitartikel: Es fehlt die Erklärkanzlerin.
Das Ausmaß der rhetorischen Pflichtvergessenheit unseres politischen Spitzenpersonals ist so erstaunlich wie bedrückend. Selbst wenn man gutwillig einräumte, dass man nach 18-Stunden-Tagen nur noch kraftlos lallen kann wie etwa der gerade zurückgetretene japanische Finanzminister, kommt einem jene Sentenz von Ernst Bloch in den Sinn, der über eine andere politische Epoche und andere Akteure urteilte: Was sie (die Kommunistische Partei) getan hat (…), war vollkommen richtig, nur das, was sie nicht getan hat, das war falsch. (Tendenz, Latenz, Utopie, Frankfurt 1985 S. 211).
Es geht nicht um Blut, Mühsal, Schweiß und Tränen. Angst machen ist falsche Politik und wäre (nicht nur rhetorisch) ein Desaster. Aber wie gehen wir mit dem Sachverhalt um, dass ein auf Stabilität und Stabilitätsgesetze von Verfassungsrang gegründetes Gemeinwesen die Grundlagen des politischen Schutzversprechens ins Schwimmen geraten sieht?
Wir brauchen nicht bis zu Roosevelts Kamingesprächen zurückzukehren, um ein Beispiel zu finden, wie politisch agiert und erklärt werden kann. Barack Obama macht es vor. In Deutschland geht zur Zeit ein Parteivorsitzender auf Tournee, der das politische Vakuum kritisch kommentiert. Die Kampagne der SPD heißt: Das Neue Jahrzehnt. Wir brauchen die leuchtenden Farben sozialdemokratischer Politik nicht auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Es reicht aus festzustellen, zu welchem Befund einsichtige Spitzenpolitiker aus allen Regierungsparteien im „unter drei“-Gespräch kommen: Die Lage ist ernster, als die Leute es bisher wahrnehmen.
Vor ein paar Jahren kritisierte ein französischer Präsident ein paar osteuropäische Kollegen mit den Worten, sie hätten eine wunderbare Gelegenheit zu schweigen verpasst. Nun ist es an der Zeit, das zum politischen Stil gewordene kommunikative Beschweigen der Krise durch die Bundesregierung zu brechen.
Sprechhülsen aber, persönliche Idiosynkrasien (Pathos kann ich nicht) und Mundwinkel bis zum Knie bieten keinen Ausweg aus dem Dilemma: die eigene Politik den Bürgern erklären zu müssen, auch wenn man sie selbst (noch) nicht versteht.