Kolumne „Kleine Tode“ für das Magazin „front“ aus dem Jahr 2008

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Diese Kolumne erfand ich für das Magazin front, das im Jahr 2008 von Ejo Eckerle und Dirk Ludigs in Berlin herausgegeben wurde. Ausgangspunkt für die Kolumne war ein internationales Dating-Portal. Für Profile, die schon geraume Zeit von ihren Urhebern nicht mehr aufgesucht worden waren, schrieb ich diese Nachrufe. Einem mir besonders sympathischen Urheber wagte ich, eine Kopie meines Nachrufs zu mailen. Enthusiastisch antwortete er, ich sei der einzige, der ihn je wahrhaftig verstanden habe. Was für ein Kompliment!

Mit einer Pferdestärke ins Paradies

„Fury, wie wärs mit einem kleinen Ausritt?“ Wiehern in Schwarzweiß, prägend seit frühen Kindheitsjahren. Unserem Helden haben es schon immer die Hengste angetan.

Sein Profil war nicht lange online, aber lang genug, um Witterung aufzunehmen. Nennen wir ihn so, wie er sich selbst vorgestellt haben könnte: PP_Pete! Unter dem Einfluss seiner Lieblingsdroge wird er den Künstlernamen in Zeitlupe gestottert haben.

An der Produktion sind neben PP_Pete drei Männer und der braune Hans beteiligt. Die Bildauflösung ist grob, der Kameramann hektisch und unerfahren, der Ton aber ausreichend, um zu begreifen, was da vor sich geht. Zu sehen sind der Rumpf des braunen Hans, davor gebückt ein kompakt gebauter Mann, unser PP_Pete, sein sehr weißer Rücken, griffige love handles und ein vielfach gepiercter Sack: PP_Pete, offenbar hart im Nehmen, hat schon einiges hinter sich und ist nun unterwegs zum letzten Kick.

Stampfende Hufe, Schnauben, leise Kommandos. Der braune Hans bäumt sich auf. Auf Anhieb klappt hier gar nichts. Digital aufgerüstete countrymen in letaler Partylaune. Damit kein Missverständnis aufkommt: Der blanke Neid führt uns die Feder. Denn wer von uns hat schon einen braunen Hans in seiner Dreizimmerwohnung im dritten Stock. Aber Sodomie mit Hilfestellung ist so grotesk wie Schulsport am Reck, wenns darum geht, den lieben Franz mal wieder zum Felgaufschwung hochzustemmen. Schließlich gelingt es, den braunen Hans in Stellung zu bringen. Sein Gemächt aber stößt ins Leere.

Zum Piepen. Ruft da gerade etwa Tante Brenda an? „Ich kann jetzt nicht!“ PP_Pete krümmt sich wieder ins Hohlkreuz und streckt den Hintern hoch. Vergeblich. Der braune Hans trifft zwar die enge Pforte ins Paradies, rutscht aber wieder ab. PP_Petes Stöhnen ist kaum zu überhören, enttäuscht oder erleichtert? Wir steckten nicht drin.

Erneute Hilfe und nun stößt der braune Hans fast bis zum Anschlag. Rücksicht ist ein böhmisches Dorf für Hengste, egal woher sie kommen und wohin es sie treibt, auf zwei oder vier Beinen. Mit der Kraft einer ausgewachsenen Pferdestärke gehts erneut in die Tiefe des männlichen Raums. Ein letzter Stoß folgt, schon zuckt der braune Hans wieder ins Leere und entlädt den Rest auf den Stallboden.

PP_Pete hat uns nur sein tiefes Stöhnen hinterlassen. „Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss von oben bis unten in zwei Stücke, und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Grüfte öffneten sich.“ So ein Stöhnen war das, das uns PP_Pete hinterlassen hat. Möge er in Frieden ruhen!

Requiescat In Pace, Du Sau!

In Münster ist uns eine Sau abhanden gekommen. In ihrem seit mehreren Monaten verwaisten Webprofil teilt sie der ungerührten Nachwelt mit: „ever ready cum loving bottom pig looking for 5 to 20 hung tops to gangfuck me ! i never say no ! make me pozz.“

So einfach kann das sein: „Allzeit bereit! Fickt mich im Rudel! Ich sage nie nein! Macht mich positiv!“ Wie leicht es fällt, uns davon einfach abzuwenden. Was für ein Spinner! Doch ist uns seine Sehnsucht sehr vertraut. Oder etwa nicht? Denn wonach sehnt sich diese Sau? Was sagt uns ihre Sehnsucht?

Die Sau sagt uns: „Vergesst eure Heuchelei! Macht Schluss mit diesen durcheinander gewürfelten Begriffen – positiv, negativ! Hört auf mit dem Selbstbetrug! Sex ist zu wichtig, um ihn hinter einer fixen Idee von Prävention verschwinden zu lassen. Wenn euch das Verlangen aus allen Poren sprießt, dazu nicht nein zu sagen – ach so, das kennt ihr nicht? Aber elende Listen, wozu ihr aus vollem Herzen so alles nein sagt – wie deutsche Popmusik, Brokkoli, Zahnspangen, Linkshänder, Rechtswichser, Tokio Hotel, Scheitel, Glatzen, Haare oder Lyrik an der falschen Stelle, und Gerüche, Ingwer, Sächsisch … Merkt ihr nichts? Euer Nein ist tiefe Panik, drängt nur zu vergeblich ins Vergessen, wozu euer Trieb nicht einfach nein sagt … Als ob es den Weg ins Glück bahnte, wenn beide keine Bananen mögen … Ich aber sage nie nein!“

Nein zu sagen setzt eine Frage voraus. Ungefragt nein zu sagen, ist übereifriger Gehorsam, Schlindern auf dünnem Eis. Neinsagen ist nicht gut für Liebeserklärungen, von sehr seltenen Gelegenheiten abgesehen. Davon zehren wir noch heute. Liebe sagt (fast) immer ja.

Nie nein zu sagen, heißt aber beileibe nicht, zu allem ja und amen zu sagen, atmet vielmehr eine überaus voraussetzungsvolle Passivität: Immerhin muss es jemanden geben, der der Sau eine Frage stellt oder ihr ein Angebot macht, das sie nicht ablehnen wird. Nie nein zu sagen, ist die offenbar der Sau gemäße Variante des „Verweile doch! Du bist so schön“ . … Denn schön ist, was ihrem Verlangen entgegen lacht. „Nehmt, was sich euch bietet! Verpasste Chancen? Wie albern!“ Sagt die Sau.

Sie ist auf Gewissheit bedacht (macht mich positiv!). Obschon allein die Ungewissheit unsere Herzen zittern macht. Ob ihre Wünsche wohl erfüllt wurden? Was wissen wir schon! Nichts! Aber danken wir der Sau für den Anstoß zu dieser Selbsterkenntnis!

Torero olé

Im Herbst ist uns ein Torero abhanden gekommen: „spanish bisex dude in Barcelona“. Sehr wortkarg, der Gute – denn mehr teilt er nicht mit. Gleichwohl ein so beklagenswerter Verlust! Mit ihm verweht ein Held für Almodovar, ein moderner Minnesänger, der sein Leben dafür aufs Spiel setzt, erkannt zu werden, um in der Sprache des Alten Testaments zu reden.

Wo aber diese Gefahr droht, wächst das Rettende nicht mehr. Unter unseren Augen nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Zurufe eines vielstimmigen Publikums aus aller Welt, das diesen Torero anfeuert – oder ist er der Stier, der toro, den unsere Blicke gleich einem Degen zur Strecke bringen werden ? – ihn in den Abgrund seines Verlangens lockt, dazu verleitet, in Lust seinem Ende entgegen zu taumeln.

Doch noch ist er bloß ein männlicher Torso. Nichts, was ihn aus der Menge heraushebt, noch einer dieser latin goatee-Unterkiefer im Bildausschnitt seiner webcam. Plötzlich aber kommt Bewegung ins Spiel. Der Bildausschnitt weitet sich zur Bühne, ja zur Arena, das Publikum wie elektrisiert: „Where are you, Torero?“ Jedenfalls nicht in seinem Wohnzimmer, meine Lieben. Andere Gestalten rücken ins Bild. Unser Held führt eine sichere Hand, an der Kamera, die andere unentwegt dabei zu modellieren. „Cyber-Café“, teilt er in gewohnter Kürze mit.

So mag die Corrida beginnen. Die Rollen zwar unklar, die Sympathien aber eindeutig verteilt. „Oh Torero!“ Ein Warnschrei aus Paris: „Attention, quelqu´un vient de gauche!“ Ja, da ist er, der Kitzel, der Kick, der ihn beseelt, den er so sehnsüchtig wie ohnmächtig sucht. „What a brave guy you are!“ schreit Joe aus Minnesota.

Der Matador hat nun das Kommando übernommen. Doch statt das rote Tuch, die Capota, zu schwenken und so den Stier in Laune zu bringen, wedelt er in der ihm eigenen Lendenkraft nur selbst unter dem roten Tshirt. „Well trained, Torero!“ Der Applaus ist ihm sicher: „It´s not my 1st time!“ Das glaubt ihm Joe gern. Diese Corrida stellt die Welt auf den Kopf, die erste und wohl einzige, in welcher der Stier dem Matador applaudiert, statt ihn auf die Hörner zu nehmen.

Denn das ist Toreros Geheimnis: Nicht er ist der Stier. Mit seiner Show weckt er den Stier in seinem Publikum, fast hundert auf ihre Bildschirme gesenkte, in der Illusion unendlicher Nähe erregte und schließlich gehörnte Köpfe, als das Wedeln den Höhepunkt erreicht. So gebannt wie gelähmt sind wir nicht Zeugen eines Spektakels, sondern seine Hauptdarsteller. Für Torero haben wir alles gegeben, was er braucht: unsere ungeteilte Aufmerksamkeit für seine Sehnsucht und die Angst, erwischt zu werden. Das ist ihm wohl schließlich passiert.

Ruhe in Frieden, Torero!

Adieu, kleiner Sklave !

Irgendwo da draußen, in den Weiten des fröstlichen Nordamerikas, ist uns im November ein kleiner Sklave abhanden gekommen. Da draußen, out there, meine Lieben, da lauert die Wildnis, unentwegt, ein Zustand der Natur, täuschen wir uns bitte nicht, der auch uns übermannen, plötzlich mitten aus uns heraus brechen kann und dann alles zu verschlingen droht.

Unser kleiner Sklave, bei einer lichten Höhe von 168 Zentimetern dürfen wir das wohl sagen, ohne andere kleine Menschen gegen uns aufzubringen, zeichnet sich aus durch eine im Grunde für Sklaven ungehörige Gier. Sucht er doch nach ein bis zwei Herren, die ihn kidnappen, ja wie eine Sache beschlagnahmen sollen. Sei das dann endlich geschehen – schon spricht unser kleiner Sklave von seinen zahllosen Wünschen – warte auf die Herren ein Programm, das mehr als nur einen schönen Abend füllen dürfte: Sie sollen ihn foltern, auspeitschen, mit heißem Wachs beträufeln, elektrisch in Zuckungen versetzen, vermummen und verschnüren, knebeln, an die Leine nehmen, mit Nadeln traktieren, hinter Gitter werfen, mit ihm die große Hunde-Schule durchexerzieren, ihn als Prügelknaben, Pissbecken, Möbelstück und Leichensack missbrauchen. Damit nicht genug, beendet der Unermüdliche die Liste seiner Wünsche mit den Worten „and more …“.

Wie unerfüllte Wünsche in die Irre führen! Keine Rede von wunschlosem Unglück, auch wenn das Programm klingen mag wie die Suche nach vielen kleinen Toden an Stelle eines grausigen großen Finales. Vergessen wir also getrost die Klischees von untertänigen Sklaven und unnachsichtigen Quälmeistern.

Denn das Programm unseres kleinen Sklaven wäre beileibe kein Mini-Job für seine beiden Herren. Das hieße für sie, 24 Stunden, tagein nachtaus, im Schweiße ihres eigenen Angesichts zu schuften und nach allen Regeln der Kunst den kleinen Sklaven zu malträtieren, bis seine Grenze erreicht sein würde, wo auch immer die sich befinden mag. Das ist unbezahlbar. Hier endlich kommt Musik ins Spiel mit dem Entsetzen.

Was wären das schließlich für Herren, die sich vorschreiben ließen, was sie mit ihrem Sklaven anstellen? Doch selbst bloß Sklaven der Macht mehr oder weniger seltsamer Gewohnheiten. „Kinder, die was wollen, kring´ was auf die Bollen“, lernte ich in meiner Jugend. So aber läuft das Geschäft nicht. Denn dann herrschte ja Freude im Himmelreich des kleinen nimmersatten Sklaven.

Wir wissen nicht, was ihn uns abhanden kommen ließ. Ob der kleine Sklave „and more …“ gefunden – oder es ihn verschlungen hat.

Adieu! Ruhe in Frieden, kleiner Sklave!

Tschüss, Bär!

Auf den Spuren des homosexuellen Verlangens stöbere ich nach verwaisten Webseiten. Eine verwaiste Webseite ist so etwas wie ein elektronischer Grabstein für jemanden, der uns im weltweiten Netz abhanden gekommen ist: Profile, die schon seit langem von ihren Urhebern nicht mehr aufgesucht worden sind. Vielleicht, weil ihre Wünsche schließlich erfüllt wurden – oder auch nicht.

Nun ist uns im amerikanischen Bundesstaat Utah seit November ein Bär abhanden gekommen. So kann das im Winter gehen mit Bären. In den Rocky Mountains nichts Ungewöhnliches. In diesem Fall aber schon. Denn unser Bär hat im Unterschied zu grauen Grizzly-Riesen einen Namen: Er nennt sich Bärenlecker. Als adretter Freiberufler (über zwei Meter groß, 136 kg schwer) suche er Spaß, tolle gerne herum, sei sehr oral und liebe besonders direkten Körperkontakt. Was für ein lustiger, lebensfroher Zeitgenosse, alles andere als ein Problem- oder Schadbär, ja, fast so etwas wie ein dicker Sympathieträger.
Das sehen die in Utah ansässigen Mormonen natürlich anders. Ihr strenggläubiger unduldsamer Bienenkorbfleiß hat nichts im Sinn mit Spaß, Lecken und Herumtollen. Nun könnten wir einwenden, dass das Lecken eines Bären an einem anderen Bären auch Mormonen herzlich egal sein kann. So sind die Mormonen aber nicht gestrickt. Denn sie wissen, wo immer ein Bär leckt, geht’s an ihren Honig.
Soweit der eine oder andere Mormone über eine klassische Bildung verfügt, könnte er sich an den römischen Dichter Vergil erinnern, der, wie er selbst sagte, sein Lehrgedicht über den Landbau, die „Georgica“, nach Art einer Bärin gebärt und – wie die Bärin ihr unfertiges Junges – durch Lecken in Form gebracht habe. Dieses künstlerische Verständnis fußt auf der Idee, etwas Ungeschlachtes, bei Vergil das Ergebnis unbändigen Dichtens großer roher Textmengen in den frühen Morgenstunden, so lange zu bearbeiten, bis es überzeugende Gestalt gefunden habe. Kulturgewinn durch Abschlecken und Weglecken.
Naturgemäß zielt das formende Verlangen eines Bärenleckers vom Großen Salzsee darauf, erst einmal durch sein Lecken etwas groß werden zu lassen. Auch vor diesen Erfolg aber haben unsere Götter die – zugegeben lustvolle – Anstrengung gesetzt.
Wir wissen nicht, ob Bärenlecker in den Steppen und Gebirgen Utahs nicht eines Tages mit seiner Leidenschaft versehentlich an einen falschen, das heißt also einen richtigen Bären geraten ist. Auch in einem solchen Fall raten die Experten dazu, sich flach hin zu legen. Der Bär werde erst einmal schnuppern und dann entscheiden, ob ihm eine Gefahr drohe oder nicht. Ob richtige Bären falsche Bären an ihrem Geruch als ihresgleichen oder aber als Gefahr erkennen, bleibt dauerhaft ungewiss. Gönnen wir aber unserem so lebensfrohen dicken Bären das Vergnügen, von wem auch immer am Ende selbst weg geleckt worden zu sein. Tschüss, Bär!

Gehab Dich wohl, Engel!

Nun ist uns in Anchorage (Alaska) ein junger Engel abhanden gekommen. Höchst ungemütlich. Er heißt angel3, ist also kein Erzengel, sondern bloß einer der zahllosen unbenannten Nachwuchsengel unter den himmlischen Heerscharen. Ein lustiger Typ, wie er sagt, der neue Freunde sucht. Schnell aber rückt er mit seinen Geheimnissen nicht heraus. Zumal den fun stuff verstecke er gern. „Also haut in die Tasten und fragt, was Ihr wissen wollt. Aber flippt bloß nicht aus, wenn Euch die Antwort nicht gefällt! Und wenn Ihr meine Antwort wirklich wollt, dann achtet drauf, dass Eure Mailbox nicht voll ist!!!“

Kruzitürken! Wie ist denn der drauf? Engel sind nun mal höhere Postgoten, so oder so, auch wenn sie unerfreuliche Nachrichten ausliefern. Der jedenfalls klingelt nicht zweimal. Als gefallener Engel aus der Heimat der 36 Crazyfists weiß er, wovon er spricht – und wir wohl nicht hören wollen. Soon I will be falling down … Lieder aus Anchorage … verheißen nichts Gutes, meine Lieben. Eure Strafe wird schnell und hart ausfallen. So ist das – in Anchorage.

Nun aber ist unser Engel in eigener Sache on the road. Auf Abwegen. Vor guten Mächten wunderbar verborgen. Sein fun stuff zieht ihn in die Tiefe. Halt findet er auf dem Weg in den Abgrund, weil er nicht halt macht. Denn es wäre aus mit der Balance seines Gratwanderns, wenn er stehen bliebe. Doch darum geht es unserm Götterboten nicht. Er selbst ist seine Botschaft. Sie zu lesen und ihn zu begreifen sind eins. Dafür die Piercings, die Tattoos (der rennende Büffel auf dem linken Bizeps – mich fest halten? Dass ich nicht lache! …) und seine Irokesen-Locke (wusch – und weg!). Unser Engel kommt als Wiedergänger des günstigen Augenblicks, ΚΑΙΡΟΣ, wie ihn der Bildhauer Lysippos gezeigt hat. Packt ihn beim Schopfe – oder er kratzt die Kurve. Was gäben wir nicht dafür, einen wie ihn fest halten zu können! Aber Engel sind nun einmal flüchtige Wesen, auch wenn sie zu unserm Schutz bestimmt sind. Weh dem, der keinen Engel nötig hat!

Bei Lichte betrachtet ist angel3 ein boshafter Engel, der über das Missgeschick seines Schützlings eher mit ihm lachen als weinen wird. Einer, der sich am unvorhersehbaren Lauf der Dinge weidet statt ihn aufzuhalten. Irgendwann, zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag, hat ihn jemand nach dem fun stuff gefragt – und seine Antwort erhalten. Seither ist angel3 weg. Gehab Dich wohl, Du boshafter Engel!

Komm wieder, .toybox!

Nun ist uns in Sydney gar eine ganze Spielzeugkiste abhanden gekommen: Glücklich, sexy und unbeschwert auf der Suche nach Liebe an all den falschen Orten … LOL, findet er Männer attraktiv, die sich wohl in ihrer eigenen Haut fühlen – und eine schmutzige Phantasie haben. Bereit für die nächste Beziehung, aber bis dahin sei gefälligst fun zu finden …

.toybox ist nicht weniger als eine Ikone unserer Zeit und alles andere als ein Flittchen. Aber jede Pore ein Lustloch. Jenseits all des unerquicklichen Tiefgangs unseres irdischen Daseins durchweht seinen durchtrainierten Körper eine Lust, die man früher einmal polymorph pervers genannt hätte. Schon die Weitsicht seiner Namensgebung erweist ihn als göttlichen Handwerker und nachgeborenen kleinen Bruder der aus Lehm geschaffenen Pandora. Nach Belieben kann er aus der unerschöpflichen Schatzkammer seiner selbst sich in genau das Spielzeug verwandeln, mit dem wir die Achterbahn unseres Verlangens vom jüngsten Gipfel der Lust ins nächste Nichts hinabjagen.

Nicht göttliche Rachsucht lenkt seine Schritte an all die falschen Orte … LOL … Sein hitzegelenkter Körper selbst ist es, der dieses cruise missile der Lust auf der Suche nach Liebe im Funkenflug bengalisch erglühen lässt. .toybox ist ein australischer Surrealist, der uns in dieser wohl geordneten Welt von Berghainen, Stahlrohren, Greifbars und preußisch-blauen Darkrooms die Augen dafür öffnet, dass es für das Verlangen keine falschen Orte – und schon gar keine richtigen – geben kann. Ja, unser Empfinden geht, wenn wir ihm Glauben schenken, so lange in die Irre, bis wir unsere doch im Grunde so fruchtbare schmutzige Phantasie endlich als passe-partout, als Sesam-öffne-Dich begreifen, das die Tore zum Paradies noch zu unseren Lebzeiten öffnen hilft.

Beim Griff in diese zauberhafte Spielzeugkiste ist uns offenbar jemand zuvor gekommen und seither ist er verschwunden. Bitte lass uns nicht allein und komm wieder, .toybox!

Komm bloß zurück aus dem Schattenreich, schwarzer Adonis!

Nun ist uns doch tatsächlich in Tampa/Florida ein schwarzer Adonis abhanden gekommen. Fast hätten wir gesagt, ein kapitaler Keiler, mit durchtrainierten muskulösen 91 Kilos auf 1,78 m. Doch diese Rolle ist in unserm Stück bereits besetzt. Unser Adonis SUCHT nach einem Keiler: einem kräftig-männlich-aggressiv-dominanten Top-Kerl mit großen Händen, denn er LIEBT es, übers Knie gelegt zu werden, ja, er liebt das so sehr, dass er es gleich dreimal erzählt. Dass die Kerle auch intelligent und ehrgeizig sein dürfen, versteht sich für ihn fast wie von selbst, wenn sie nur diese GROSSEN PRANKEN mitbringen – und sich möglichst auch für Politik interessieren … Sonst erlischt sein Interesse augenblicklich.

Unser Adonis ist Absolvent der Southern Methodist University, welcher der amtierende amerikanische Kriegsgott seine Presidential Library zugedacht hat. Auch das ist alles andere als ein Zufall. Sein Körper lässt vermuten, dass Adonis ein SMU-Mustang war und beim Football auf die Freude an der Keilerei gekommen ist. Welcher Teufel mag diesen Mustang geritten haben, als er sich für den Namen Adonis entschied? Denn Namen, meine Lieben, sind alles andere als Schall und Rauch. Sie haben ihre Geschichte. Und Geschichten, zumal diese antiken, finden irgendwie kein Ende, sondern höchstens Pausen, wie ein Kenner sagt. Mitunter sehr lange Pausen, nur um dann in tiefster Verwirrung der Gefühle wie neu aufgeführt zu werden.

Nun also jagt der geile Kriegsgott in Gestalt eines wilden Ebers den schönen Königssohn. Dieses Mal einen Schwarzen in Florida. Persephone, die Göttin der Unterwelt, und Aphrodite, die dem Adonis einst verfallene Göttin der Schönheit und Liebe, singen zur wilden Jagd im treibenden Beat sein Lieblingslied: „Choke Me, Spank Me (Pull My Hair)“. Da hat ihn der Keiler endlich erwischt – wie gewünscht. Aus jedem Blutstropfen des Schönen sprießt ein Röslein auf der Heiden.

Irgendwann, Ende Januar, wird das passiert sein. Der Kerl mit seinen GROSSEN PRANKEN hat sich nicht lange bitten lassen. Halb schlug er ihn. Halb sank er hin. Seither ist er verschwunden. Komm bloß zurück aus dem Schattenreich, schwarzer Adonis! Dass ich ewig denk an dich.

Hört das denn niemals auf?

Nun ist uns in Ontario ein Narziss abhanden gekommen. Kaum 19, weiß er nicht, was er sagen soll – sieht sich nicht als die typische Schwuchtel und mag auch nicht unentwegt über Sex reden (lasst das bitte!). Auch Telephon- und Cybersex sind nicht sein Ding. Er mag Leute, mit denen er reden kann. Auch wenn er vielleicht anfangs etwas schüchtern wirke, könne er spontan sein, sich aber nie so richtig entscheiden – und sei ziemlich sarkastisch. Er mag deutsche Jungs, Piercings, Tattoos – ach, und gothic chicks finde er geil, sei aber nicht bisexuell. „Also sagt „Hi“ und ich werde „hi“ antworten …“

So nimmt denn das Schicksal dieses Helden einen einsilbigen Lauf, kaum dass es begonnen hat. Der Blick, aus unergründlichen Augen nach innen gerichtet, wirkt auf alle, die ihn begehren, wie ein Bühnenscheinwerfer: auf ihn selbst. Aber die erblühende Schönheit weist ab. Ausnahmslos alle. Auch dieses gothic chick in der Moritz-Bastei (ihr wisst schon: Pfingsten, gothic, Leipzig …). Im Tonnengewölbe ist es, wo sie den ersten Versuch unternimmt, die kleine grottige Quellgöttin, am Abend des von den unsichtbaren Winden des Hl. Geistes durchwehten Pfingstsonntags. Im Schwarzlicht zucken die entflusten schemenlos blassen Leiber und aus den Lautsprechern tönt „gothic chicks are dead / sexy (that is) / but please / no fatties …

Holdselig aber hält er, diese Schönheit, Ausschau nach deutschen Jungs, ihren Piercings und Tattoos, eingedenk dieser Dreifaltigkeit seines Verlangens skandiert er still vor sich hin: dreigeteilt niemals!, als sie von neuem sich an ihn heranschleicht, nun kaum mehr als ein weißes Gesicht mit tief schwarz umschatteten Augen, und zart ihr „Hi!“ flüstert. Er aber, unbeirrt auf der Jagd nach dem teutonischen Wild seines Lebens, hört nicht auf sie, die vergeblich die Arme nach ihm ausstreckt. Was mag ihm ein totes Hühnchen in Leipzig bedeuten, wo doch gerade erst dieser Hirsch aus dem Urbild eines von Neo Rauch gemalten Recken entgegen tritt – und schon ist der Hirsch im zuckenden Schwarzlicht wieder entschwunden.

Weh mir, weh mir, schmachtet Narziss, kurz aus der überlieferten Rolle gefallen, und lenkt den Blick wieder nach innen. Die Moritz-Bastei, jetzt Schädelstätte der ihn so vergeblich begehrenden Quellgöttin, flieht er, nur um erneut vor dem Bildschirm zu landen, auf der Suche nach einem Glück, von dem er nicht weiß, dass er es in sich trägt. Der Narziss unserer Zeit ersäuft in den Pixeln seines unendlich reproduzierten Antlitzes, hier kommt das technische Vokabular der Bildauflösung zu dem finalen Recht. Hört das denn niemals auf? Nein, Narziss, niemals!

Wie heißt das bloß auf pig?

Nun ist uns seit dem Wonnemonat (Süß Liebe liebt den Mai) in Washington D.C. ein Daddy abhanden gekommen. Sehr groß, ein Hüne (lichte Höhe von 1,96m) mit den mehr oder weniger üblichen Vorlieben eines ausgewachsenen Daddies vom Capitol Hill, zudem ein verdammt guter Top, liege er aber erst mal im sling, dann werde er zur Sau, da gebe es nichts zu entschuldigen. Außerdem spreche er fließend pig!

Was für ein betrüblicher Verlust! Es schmerzt, Talente, zumal so rare, verloren gehen zu sehen. Denn sprechen zu können, wie einer Sau der Schnabel gewachsen ist, wer kann das schon? Eine Sau hat zwar keinen Schnabel, sondern eine stumpfrüssel- bis steckdosenartige Schnauze (Leibspeise für politische Feinschmecker, entfettet mit Honig überzogen auch unendlicher Kauspaß für Hunde). Kauderwelschender Kauspaß aber ist gar nicht so selten auf Capitol Hill. Denken wir nur an die biegbaren Nuancen eines Wortes wie Freiheit oder was alles inappropriate sein kann, kaum dass jemand wie Moni den Mund öffnet.

Wie viele slings in der Nachbarschaft zum Kapitol wohl darauf warten, dass Daddy sich darin in eine Sau verwandelt? Kaum aber liegt Daddy da drin, katapultiert es ihn in eine andere Welt, in eine andere Syntax, Semantik, ja Galaxie, ins säuische Paradies vor dem Sündenfall. Da ist bekanntlich alles unschuldig. In der historisch dagegen so schuldbewussten deutschen Sprachkultur sagt man dazu neuerdings gerne „das ist auch gut so“. Wie aber heißt das bloß auf pig?

Die Sau mag noch so intelligent sein: Sie macht keine Unterschiede, kennt weder gut noch schlecht. In pig ist erlaubt, was gefällt: as you like it. Die Sau geht pragmatisch zur Sache: What´s next? bringt ihre Lebenswelt auf den Punkt. Auf pig konjugieren heißt: ich pig, du pig, er pig, wir, ihr sie – alle pig, eine existentialistische Gleichmacherei, die von tiefster Menschenkenntnis zeugt. Gehen wir zurück in Daddies Kindheit, finden wir darin rot umrandet das Datum des Tages, an dem er lernte, sich selbst den Hintern abzuwischen. Daran denkt die gereifte Sau (weil sie den Philosophen Richard Wollheim gelesen hat), wenn sie Moralphilosophen über Verantwortung reden hört.

Warum aber diese Sau sich Daddy nennt, das bleibt ein anderes Rätsel, in dem sich suhlen auf kuhlen, puhlen und buhlen reimt.