»… des KÖHLERS tRaum«

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Das Bild im Aufmacher verdanke ich dem Künstler Gerard van Smirren. Er nennt es eine Carbonografie. Dabei handelt es sich um die Makroaufnahme zufälliger Verläufe von Kohlenstoffpigmenten in einer Petrischale.

Der Nachrichtengehalt der Carbonografie bleibt unentscheidbar. Sie bildet nichts ab. Sie teilt nichts mit. Der Verlauf der Pigmente und ihre Makroaufnahme verdanken sich möglich gewordenen Zufällen. Sie sind anlasslos. Ihre fotografische Fixierung erzeugt ein Bild, das wir nie zu sehen bekommen hätten, jedenfalls nicht mit den eigenen Augen.

Die ästhetische Herausforderung liegt darin, dass wir der Carbonografie nicht als Zeichen habhaft werden. Wollten wir es als Vorzeichen interpretieren, dann auf einer Metaebene der Kunstgeschichte, in Gestalt einer Genealogie, einer Herkunfts- oder Nachbarschaftsgeschichte zum Informel, das nicht zufällig nach einer bis dahin für undenkbar gehaltenen Zerstörung entstand und für das Malen eine eigene Gestik, eruptive Energien und Intensitäten entfesselte und damit für das bildnerische Gestalten neue Kräfte freisetzte.

Das kristalline, fast metallische Leuchten der Carbonografie gibt ein kohlenstoffbasiertes Zeichen aus unserer Nachwelt. Die Insassen von Platons Höhle sind dahin, ihr Aufstieg ins Licht der Sonne, in die Welt des Intelligiblen und die Rückkehr des Philosophen in die Höhle sind Prähistorie. Sie bezeugen nichts mehr.

So bleibt die Carbonografie eine Spur, ein Abdruck für ein visuelles Abtasten, das – so weit wie nur möglich – auf Projektionen verzichtet. Wir sehen Dunkles und Helles, Schichten, Reliefs, Risse, ein Leuchten ohne verortbare Lichtquelle, das an ein Netzhautphänomen erinnert, das nach einem grellen Blitz nur als Erinnerung haften bleibt – an den blendenden Schmerz des Lichts.

Deshalb illustriert die Carbonografie Gerard van Smirrens die Zwecke dieses Blogs wie ein Sinnbild. Anlasslos zu schreiben wirkt nur auf den ersten Blick als Paradox, dient der Distanz zu dem, was der Fall ist, gegenüber Themen-Konjunkturen und politischen Narrativen, sucht nach blinden Flecken, zarten Rissen und dunklen Stellen, findet dafür eine eigene Sprache, damit die Welt lesbar bleibt – oder wird.