© Gerard van Smirren

Instant biographer

Im Unterschied zu Pulverkaffee ist die Arbeit einer Nachrufautorin, zumal dann, wenn sie für die letzte Seite des Economist schreibt, für die Nachwelt voller Wunder.

Routinen, mithin also auch die Wechselfälle eines schlecht gewählten Todeszeitpunkts, entscheiden darüber, welcher liebe Tote es ins Blatt schafft. Das entscheidet man montags. Dienstags wird poliert. Ich versuche mir vorzustellen, welcher Reiz für einen Autor wie Rüdiger Safranski darin läge, in zwei Tagen zu schreiben, wofür er sonst Jahre braucht, welche ungeheure Erleichterung darin läge, wie mit einem Federmesser wegzuschneiden, was den klaren letzten Blick auf die verstorbene Person trüben könnte. Nicht 752 Seiten, wie über Goethe, sondern maximal  5.200 Zeichen, nicht Jahre über Jahre, sondern ein Tag, eine Nacht und noch einen halben Tag. Dann kannst Du Dich von diesem Tod erholen und den nächsten auf Dich zukommen lassen. Weiterlesen

Verlustanzeige

Der Tod Frank Schirrmachers ist eine Zäsur.

Der große Mann ist ein öffentliches Unglück, schreibt Edo Reents. Der Verlust dieses großen Mannes ist ein Unglück für unsere Zeit, der das Phänomen des Phantomschmerzes fehlt, um ermessen zu können, was ihr durch Schirrmachers Tod abhanden gekommen ist: ein Spieler und Gegenspieler, ein Spurenleser, ein Seismograph mit einem Gespür, das auch feinsten Schwingungen den Schritt voraus war, der erst Verstehen in dem umfassenden Sinn dieses Wortes ermöglicht.

Egal zu welcher Tages-, Abend- oder Nachtzeit man ihn erreichte, er glühte auf, weil er das Elektrisierbarsein verkörperte, für Themen und Anregungen offen war, die in der versäulten deutschsprachigen Medienwelt auf dem Weg durch zuständige Ressorts fast unrettbar verloren gegangen wären.

Um sich herum hatte er ein weltweites Netzwerk feinster Verknüpfungen ins Leben gerufen, das wie eine Galaxie mit ihm als jungem Braunen Zwerg verstanden werden könnte, kein Zentralgestirn mit geordneten Umlaufbahnen, kein Trabant, sondern eine verkörperte Fusionsenergie, die ihn nährte, weshalb es aus dieser Logik Ehre bezeugte, von ihm als Oberkonfusionsrat bezeichnet zu werden.

Was wird nun aus dem nicht mehr durch seine Präsenz geordneten Versprechen der um ihn versammelten Talente? Gehen sie verloren, mit ihm dahin? Wer fängt sie auf und bindet sie ein in ein neues Kraftzentrum, das den von ihm eingeschlagenen Kurs auf die dazugehörige unvorhersagbare Weise weiter führt?

Ich habe Frank Schirrmacher mehr zu verdanken, als die schmale Sichtbarkeit einiger Beiträge im Blatt dokumentieren kann. Es begann mit einem späten Debüt in einer für mich sehr schwierigen Zeit.

Dafür danke ich ihm, bestürzt, traurig und erschüttert.

Die Ikonographie der Schutzweste

Dieses Photo hat über Pfingsten Schlagzeilen gemacht. Der schwedische Ministerpräsident Reinfeldt ist in Kontrolle der Ruder. Seine Gäste sind ihm ausgeliefert. Es sind bisher keine Bilder bekannt geworden, die die Gäste dabei zeigen, wie sie in das Ruderboot gelangt sind. Frau Baumann, wenn nicht die Kanzlerin höchstselbst, wird darauf geachtet haben, dass das Verlassen festen Grundes unbeobachtbar bleibt. Weiterlesen

Höchste Eisenbahn

Der amerikanische Secret Service hat ein Projekt ausgeschrieben, das so seltsam anmutet, dass ich nicht umhin komme, hier, an dieser abgelegenen Stelle, darauf hinzuweisen. Heute endet übrigens die Abgabefrist für Angebote.

Gäbe es schon Teleportation, würde ich mich als inkarniertes Tool gleich selbst rüberbeamen. Aber mit ihren hauseigenen false positive Ressourcen würden sie mich als nicht zulässiges Angebot aussortieren. Dabei täte ich das sogar umsonst. Denn was könnte es Schöneres auf der Welt geben, was wäre für den eigenen Seelenfrieden und beste Unterhaltung zuträglicher, als täglich die neuesten Sarkasmen – frisch aus aller Welt –  zum Müsli serviert zu bekommen? Okay, ich würde das nicht gerade auf der Basis des Internet Explorers 6 machen wollen, aber wenn sie mir eine Dienststelle dafür im schönen Colorado einrichteten, könnte ich mich auch damit anfreunden. Weiterlesen

Regelbruch als Versprechen. Anmerkungen zu Jung & Naiv

Der folgende Beitrag ist eine kleine Kostprobe auf einen Essay, den ich für einen von Günter Bentele und Felix Krebber bei Springer VS herausgegebenen Sammelband geschrieben habe. Das Buch erscheint im Spätsommer 2014. Ich habe zur Illustration den Beitrag um die jüngste Folge von Jung & Naiv ergänzt, Tilo Jungs Gespräch mit Glenn Greenwald. Ich empfehle besonders den Schluss, an dem Tilo mit Glenn über das Crowdfunding für Krautreporter redet. Die deutsche Übersetzung dieser Passage findet man am Ende dieses Beitrags.

Vorbemerkung
Gibt es Indizien für paradoxe Verarbeitungsmuster des Wandels, den wir in der Medienwelt erleben? Ende Januar 2014 stellt der Perlentaucher (Chervel/Seeliger 2014) seine tägliche Feuilleton-Übersicht um. Nun trifft das Perlentaucher-Team eine Auswahl entlang der weltweiten Emergenz neuer Themen und Debatten. Sein Publikum, bisher daran gewohnt, auf einen Blick zu erfassen, welches führende deutsche Printmedium welche Themen bringt, reagiert irritiert. Bisherige Relevanz-Kriterien (die FAZ eröffnet mit Sotschi, die Süddeutsche mit Bayreuth) scheinen dahin. Nur mit Mühe (wenn überhaupt) scheint genau die Frage noch beantwortbar: Wer bringt was? Nur warum das überhaupt noch wichtig sein könnte, genau danach wird nicht gefragt. Die Lebenswelt der an den Diskursen Interessierten scheint erschüttert. Sie wirken auf die Ungleichzeitigkeit nicht vorbereitet. Dass die neue Übersicht neue Koordinaten für die Wahrnehmung von Relevanz bereit stellt, tröstet nicht die uneingestandene Trauer über den Verlust der alten institutionalisierten Relevanz. Weiterlesen

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