Hoffnung auf den Autopilot

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Sitzen eine Ethikerin, ein Ministerpräsident, ein Epidemiologe, ein Virologe und die Pandemiebeauftragte eines Landkreises zusammen, dann befinden sie sich gewiss in einer Talkshow, an diesem Abend bei Maybrit Illner.

Gibt es Neuigkeiten? Im Prinzip ja. Einen Wermutstropfen hat der Tübinger Rhetorikprofessor Dietmar Till am Sonntag verabreicht. Auf Twitter fragte er: „Geschäfte schon ab Mittwoch zu. Warum nicht: Geschäfte erst ab Mittwoch zu?“ Das Drama der vor uns liegenden Wochen kommt in dem Unterschied zwischen „schon“ und „erst“ auf den Punkt. Denn am Montag und Dienstag war der Andrang in den Innenstädten so groß, dass die Infektionszahlen kurz vor Heiligabend erneut in die Höhe schießen könnten, ganz zu schweigen von der Zahl der Covid-19-Toten bis zum 10. Januar. Wer mit seinen Lieben zusammen Weihnachten feiern möchte, möge sich ab sofort in vorbeugende Quarantäne begeben. Eine der Einsichten, an die sich zu wenig Menschen halten werden. Obwohl sie richtig ist.

Es gibt gute Neuigkeiten. Eine Arbeitsgruppe der amerikanischen FDA hat den Impfstoff der US-Firma Moderna für sicher erklärt. So wird es bald einen zweiten Impfstoff geben. Freiwillige vor! In Großbritannien hat Sir Ian McKellen es vorgemacht, mit Regenbogenschal um den Hals und Mund-Nase-Schutz ist der beliebte Darsteller von Gandalf ein Vorbild. Gut, dass in kurzer Zeit mehrere verlässliche Impfstoffe auf den Markt kommen. Wer zuerst dran kommt, hat es am nötigsten. Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, ist bei medizinischem Personal nicht so hoch, wie zu wünschen wäre. Keine guten Aussichten. Wie wird dafür geworben, voranzugehen, um andere Menschen zu schützen? Uneigennützigkeit ist gefragt. Hoffentlich erfinden die Werbeagenturen dafür Kampagnen, die ansteckender als das Virus sind.

Wer an Covid-19 erkrankt war, ist für längere Zeit immun. Das erleichtert die Rechenaufgaben für die Impfpläne. Schwierig ist der Fachbegriff der Herdenimmunität. Welcher Mensch betrachtet sich als Vieh in einer Herde, auch wenn er oder sie sich viehisch verhält? Es geht darum, mehr Impffreude zu wagen. Von Begriffen wie Inzidenzwerten und Kontaktnachverfolgung bleibt im Ohr des furchtsamen Bürgers nur die Verfolgung hängen. Wer will das? Wer sich nicht an Regeln hält, wird sich das gefallen lassen müssen.

Neue Studien teilen mit, dass Kinder und Jugendliche das Virus ebenso munter verbreiten wie Erwachsene. Sie brüllen auch mehr. Bedrückend, dass selbst Fachleute noch darüber grübeln, wie die Wirksamkeit der nächsten Schritte gesteigert werden kann. Die Experten wirken optimistisch und kleinlaut zugleich.

Auf Massentests zu setzen, ist kürzlich in Österreich kläglich gescheitert. Wenn selbst das Pflegepersonal in Altenheimen nicht dafür zu gewinnen ist, dann gleicht die Lage einer Schlittenpartie in den Abgrund. Ein Navigationssystem, das als Ziel nur „irgendwo“ angibt, taugt nichts.

Das Weiterso eines harten Lockdowns ohne absehbaren Schlusstermin wird die fälligen guten Wünsche für das Neue Jahr empfindlich verschatten. Appelle an die Vernunft erreichen die Vernünftigen. Besser wäre es, auch diejenigen erreichen, die sich der Vernunft bisher verschließen.

Nur wie?