KategorieGrabbeigabe

Archiv

Davongekommen

D

Müde, auch leicht verkatert, war er aus Westafrika zurück gekommen, sein jüngster Kunde schrie nach ihm. Wer wollte es ihm verdenken, dass er der Bitte folgte? Der Macron werde sich noch wundern, was ihm in Niger blüht, das ist er ihm schuldig. Nun also wieder Moskau, aber was hält ihn da noch, ab nach Sankt Petersburg, immer noch seine Borghata des Elends, das er hinter sich weiß, aber nie...

Leichenschmaus für Egmont Fassbinder

L

Die Nachricht von seinem Tod kam unerwartet. Er war, wenn wir uns, wie immer, zufällig begegneten, von einer unverwüstlich scheinenden Vitalität, etwas hinfällig vielleicht, aber immer noch voller Stolz über seine Eroberungen bei den Sex Parties im Berghain und anderswo. Hündin Lola schnüffelte gerne an ihm, was er bereitwillig und mit seltsamem Stolz erlaubte. An ihm gab es zu schnüffeln.

Verschärfen

V

Aus Gründen, die nicht kulinarischer Natur sind, feiert dieses Verb etwas zu dauerhaft Hochkonjunktur.  Hier folgen einige Beispiele aus der politischen Prosa, was sich verschärft oder was verschärft werden muss. Aus der Ferne erklingt in dem Wort das Handwerk des Scharfrichters, der seine Klingen einsatzbereit halten und entsprechend pflegen muss. Wer etwas verschärfen will, steht – wie...

Richtig und wichtig

R

Kaum etwas finde ich so grauenvoll und nichtssagend wie diese Formulierung, die seit geraumer Zeit Bedeutung beansprucht, aber über die Autosuggestion nicht hinauskommt. Aber wer kann sich schon selbst hypnotisieren? Was in den letzten Monaten alles als „wichtig und richtig“ galt:
Streiten
Hochschulen in die Politik einbringen
Selbsttests
Apotheker

Virusvariationsgebiet

V

Erst hieß es „Mutationsgebiet“. Damit schien klar, dass dort etwas passiert, was besser nicht passierte. Wenn es sich um ein abgrenzbares Gebiet handelte, dann, so die in dem Wort geborgene Hoffnung, ließe sich eingrenzen, was von dort seinen Ausgang nehmen könnte. Das war schon Blödsinn in der Sekunde, in welcher das Mutationsgebiet in die deutsche Sprache fand. Es geschah erst vor...

Aufwachen

A

Nun gehört es zu den täglichen Routinen des Lebens mit Hund, am frühen Morgen, dieser Tage wirklich früh, durch die Straßen an vielen geöffneten Fenstern vorbeizulaufen, und heute fiel mir auf, dass der Klang der Wecker monoton geworden ist, als gäbe es nur noch den einen, der sich nicht durch das Schepperschrillen der alten Blechkameraden, sondern durch ein fast kardiologisches Fiepen...

Eine Verschwörung

E

Über Günter Hack erfuhr ich heute Morgen von dieser Story. Um es zurückhaltend auszudrücken: sie ist atemberaubend. Wenn sich herausstellt, dass wahr ist, was Jeff Bezos, der Amazon-Gründer, hier ausführt, versuchen Spießgesellen des amerikanischen Präsidenten, ihn zu erpressen und damit Rache an der Washington Post zu nehmen. Dass Bezos sich selbst zum Kauf beglückwünscht, hat viele Gründe. Hier...

Rettet die Mauer!

R

Wenn ich mich richtig erinnere, entstand dieses Fake-Interview für Radio 100 im Herbst 1988 nach einer Erklärung des AL-Abgeordneten Dirk Schneider. Ich erfand eine Bürgerinitiative unter dem Vorsitz von Prinz Louis Ferdinand von Preußen und phantasierte, dass das Paul Getty-Museum der DDR ein Kaufangebot für die Mauer unterbreitet hatte, weil die Kuratoren die ersten Bilder der Berliner wilden...

Nachtflug: In der Medina von Sousse

N

Für Huub Niessen Im Sommer 1988 verbrachte ich sechs Wochen in der Medina von Sousse. Ein Freund von mir hatte dort einige Jahre vorher ein Haus gekauft, was mir die Gelegenheit gab, wenige Monate nach der Entmachtung von Habib Bourghiba einen kurzen Vorläufer des arabischen Frühlings zu beobachten. Es dauerte nicht lange, bis ich aus der Rolle des Beobachters in die eines öffentlichen Schreibers...

Der nächste Situationismus

D

Die Zeitenwende hat uns im Griff. Schon jetzt lassen sich, mit der gebotenen selbstironischen Distanz, einige Schlussfolgerungen ziehen. Es gibt für die Dauer einer Trump-Präsidentschaft Sonderkonjunkturen für den Buch- und Qualitätsmedienmarkt. Autoren wie Günther Anders, Emile Cioran, Albert Camus, Eugène Ionesco, Hannah Arendt, Theodor W. Adorno werden mit neuer Begeisterung, hoffentlich auch...

Der Narzissmus unserer Zeit

D

Eine Diskussion auf Twitter über EU-Kommissar Oettinger hatte mich auf diesen Gedanken gebracht: Alle sind wie er, keiner aber so sehr wie er selbst. So entsteht eine neue Verwechselbarkeit. Sie zeichnet sich aus durch ein Amalgam aus Weinerlichkeit, starken Meinungen (im kleinen Kreis) und das Siegergefühl, für die namenlos bleibende Mehrheit zu sprechen. Der Mielke von heute sagt nicht:...

Geschlecht: Aufruhr. 50 Jahre Stonewall

G

Das einzige Mittel, dem Entsetzen zu entgehen, besteht darin, sich dem Entsetzen zu überlassen. (Jean Genet) Die folgende Projektskizze verstehe ich als Einladung zur Diskussion. In welcher individuellen und institutionellen Vernetzung ließe sich dieses Projekt im Sommer 2019 realisieren? In der Nacht zum 28. Juni 1969 kam es in der Christopher Street, Ecke 7th Avenue vor der Bar Stonewall Inn im...

Als wärst du ein anderer

A

Die Tragödie von Orlando hat einen Schlussakt, der nicht enden will. Er kann auch nicht enden. Nicht aufgrund der Trauer und des Zorns und der Anteilnahme oder ihrer Maskerade, die nur zu umschreiben  vermag, was sie nicht aussprechen will. Auch nicht, weil der Status der Opfer wie ein kultureller Replikationskonflikt wirkt, der die tatsächlichen Opfer und die Gruppe, die sich infolge des...

Egon Bahr

E

In der SPD war er ein Titan, der seinen Ruf nicht den Lagern der einen oder anderen Richtung verdankte, sondern dem Verstand, der Umsicht, der Prägnanz, mit der er politische Aufgaben in den Blick nahm und adressierte. „Wandel durch Annäherung“ – das war eine politische Vision, die Europa und die Welt verändern half. Es dauerte Jahrzehnte, aber bezeugte, was eine Vision vermag.

Unterwerfung

U

Nur als Hinweis.  Dieser Beitrag von mir über das verzwickte Verhältnis zwischen Schuld und Schulden erscheint heute. Ein guter Anlass offenzulegen, dass ich über diese Beziehung auch aus privaten Gründen nachzudenken hatte. Am Ende waren drei familiäre Bindungen auf Dauer zerstört, obschon die Schulden auf Heller und Pfennig getilgt waren. Was bleibt, ist nicht bezifferbar.